Ziel erreicht

Strecke: etwa 2.010 km 

Aufstieg: etwa 105.000 hm

Abstieg: etwa 105.000 hm

115 Gehtage 

623 Stunden reine Gehzeit 

16 Ruhetage 

2 Regenwandertage! Ist das nicht unglaublich! Ich bin so gut wie nie nass geworden!


Die Etappe gestern war eigentlich nur gut, um Kilometer abzuspulen. Fast immer mit Blick auf das Meer. Das war aber auch das einzig angenehme auf den kilometerlangen Militäpisten, in Deutschland auch Forstwege genannt. Links und rechts am Wegesrand lauter Bunker und alte Kasernen. Und dann vier Stunden nur auf ätzenden Pisten. Eine Herausforderung, die die Sehnsucht nach dem Ziel deutlich steigert. Dazu die Hitze, die sich durch das herbstliche Wetter der letzten beiden Wochen wieder durchgesetzt hat. 


Die Nacht ist unruhig. Auch wenn es in dem wunderschön gelegen Rifugio sehr ruhig ist. Das liegt dann doch eher an der Aufregung. Ein komisches Gefühl, das letzte Mal in die verschwitzten Wanderklamotten zu schlüpfen. Wirklich wahrnehmen kann ich es aber nicht. 

Und dann geht es los. Die letzte Etappe ist wieder deutlich schöner. Bis kurz vor Ventimiglia geht es nur schmale Pfade entlang. Dieses Mal durch den Kräutergarten Italiens: die Macchia. Es riecht wunderbar! Überall wachsen wilde Kräuter. Und das Meer rückt näher und näher. 


An der Kapelle Madonna delle Neve treffen wir auf die beiden Iren, die in Dolce Acqua übernachtet haben. Sie haben den ganzen Weg hier hoch frisches Obst, süßes Gebäck und eine Flasche Sprudel anstelle von Sekt zum anstoßen geschleppt. So feiern wir den letzten Tag unserer Wanderung. Für die beiden Iren und die beiden belgischen Studentinnen ist es der letzte Tag einer zwei bzw. einwöchigen Wanderung auf dem GTA. Für die Allgäuer das Ende des gesammten GTAs, den sie innerhalb von sechs Jahren in einzelnen Abschnitten gemeistert haben. Und für mich der letzte Wandertag einer langen viermonatigen Reise. So feiern wir gemeinsam unseren Erfolg, bevor es noch in zwei Stunden hinunter nach Ventimiglia und ans Meer geht. 


Erst kurz vor dem Meer geht es hinunter. Davor war der Weg eher ein ständiges auf und ab. Der letzte Abstieg über sehr steile Teerstraßen hat es noch einmal in sich. Auch heute wird einem auf dem Weg nichts geschenkt. 

Und dann sind wir da! In Ventimiglia! Um zum Meer zu gelangen, müssen wir erst einmal 500m durch den touristischen Teil. Ein unglaublicher Lärm und Hektik begrüßt uns. Straßenbahnen, Autos, Feuerwehr, Krankenwagen und jede Menge Menschen. Es ist chaotisch, hektisch und laut. Was für ein Kontrast zu den Bergen, wo es immer so schön ruhig war! Nichts wie durch! Am liebsten wäre ich umgedreht. Zurück in die Berge. Ich bin überfordert, hier in der lauten Stadt. Und dann liegt es vor uns, das Meer! Heute ziemlich wild! Die Wellen sind teilweise so hoch wie ich. Durch das Rauschen des Wassers hört man nichts mehr von der Stadt. Es ist friedlich! Nur Wind, Wasser und Möven. Sandalen aus und das letzte Mal in die Wanderschuhe, die ich die letzte Woche eigentlich nur im Rucksack getragen habe. Und nun rein ins Meer! Es ist schön warm! Das Meer ist wild. Teilweise habe ich nicht genug Kraft und werde von den Wellen einfach umgeschmissen. Aber es macht großen Spaß! Jetzt wird der ganze Schweiß der letzten Monate abgewaschen.


Wirklich realisieren kann ich es noch nicht. Dieser Wandertag fühlt sich an wie ein normaler Wandertag, nur vielleicht mit ein paar Highlights mehr als sonst. Aber nicht wie der letzte. Eher als ob ich hier einen schönen Tag Pause einlege, bevor es wieder weiter geht. Der Verstand sagt das eine, kann sich aber gegen das Gefühl nicht durchsetzten. Ich freue mich, dass ich es geschafft habe. Ich kann es aber selbst nicht begreifen, was ich da gemacht habe. Es ist einfach zu groß, um es jetzt schon fassen zu können. Alle scheinen zu begreifen, was ich gemacht habe und beglückwünschen mich, nur ich selber kann es nicht glauben.

Wehmut und Trauer schwingen nur ein kleines bisschen mit. Wahrscheinlich, weil ich das Ende der Wanderung noch nicht fühle. Bei den letzten Schritten zum Meer bin ich sogar froh, dass ich keine großen Strecken mehr laufen muss. Jeder neue Tag war schmerzhafter als der letzte. Mein Oberschenkel braucht dringend Schonung. Trotzdem kann ich es nicht glauben, dass die langen Wandertage mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken erst einmal ganz zu Ende sind. 

Doch die nächste Tour wird bestimmt kommen! Viel hab ich gesehen und erlebt. Neue Ideen gesammelt und Pläne geschmiedet. Allerdings nur für kleine Projekte, die in einem normalen Urlaub machbar sind. Die Alpen sind so groß und vielfältig. Langweilig wird es hier nie werden! 


Hier ist auch der richtige Platz, um Danke zu sagen! Danke an alle, die mich auf irgendeine Weise unterstützt haben! Sei es, dass ihr mich für eine Nacht bei euch aufgenommen habt, mich toll bekocht habt, mir viele gute Tipps für die Routenplanung gegeben habt oder mir sonst auf irgendeine Art und Weise geholfen habt. Danke an alle, die mich mental unterstützt haben, wenn es mir mal nicht so gut ging, und mit Mut gemacht haben. Und an alle, die mich auf meinem Weg begleitet haben. Sowohl an die Freunde von zu Hause, als auch an alle netten Menschen, die ich unterwegs kennen lernen durfte! So bin ich die letzten beiden Monate kaum allein gewesen! Und danke an alle anderen, die mich auf irgendeine Art und Weise unterstützt haben!

Meer in Sicht!

Nun komme ich dem Ziel immer näher. Das Meer ist schon fast greifbar und unter mir liegt Ventimiglia. Noch 30 km Fußmarsch. Ein Klacks im Gegensatz zu dem, was ich schon geleistet habe. Vor mir erstrecken sich nur noch Hügel. Die Berge liegen nun endgültig hinter mir. Was für ein Gefühl! Vor mir sind nur noch ein paar bewaldete Hügel, dahinter schimmert das Meer und in der Ferne ist sogar Korsika recht gut zu sehen. Hier enden also die Alpen! Vier Monate lang habe ich nur Berge gesehen und nun ist vor mir nichts mehr. Nur noch Wasser! Die Vorfreude steigt von Tag zu Tag. Ich will nur noch ankommen und ins Meer springen. Ein wenig Schwermut und Trauer ist auch schon dabei. Heißt doch das Ankommen gleichzeitig auch Abschied nehmen. Abschied von so einer wunderbaren Zeit! Doch viel länger dürfte der Weg nicht sein. Die Saison geht zu Ende und es ist Herbst geworden. Mein Körper zeigt mir nun immer öfter, dass es langsam Zeit wird, anzukommen. Seit dem Monvisogebiet kränkel ich fast wöchentlich. Ich erhole mich glücklicherweise immer sehr schnell, doch die Tage, an denen ich mich vorwärts kämpfen muss, nehmen zu. Und dann, beim Abstieg nach Limone, plötzlich ein stechender Schmerz in meinen linken Oberschenkel. So ein Mist! Nicht das auch noch! Nach ein paar Schritten nochmal. Das darf doch nicht wahr sein. Wahrscheinlich irgendeinen Muskel gezerrt. Nicht so knapp vor dem Ziel (an diesem Punkt noch 7 Etappen)! 

Langsam und ohne Gepäck, das mir liebenswerterweise abgenommen wird, geht es hinunter zum Albergo.


Für den nächsten Tag steht von Limone zum Rifugio Garelli eine 'Königsetappe' von etwa neun Stunden an. Und da ich diese Etappe wohl wieder alleine gehen werde, eine dumme Situation. Mein Oberschenkel hat sich zum Glück etwas beruhigt. Doch was ist, wenn wieder was passiert? Die Etappe ist sehr lang und es könnte sein, dass ich niemanden treffe. Also muss eine Alternative her. So geht es zuerst mit Bus und Bahn ab in die Poebene nach Cuneo. Eine große Stadt! Aber wenigstens hat es hier auch eine Buchhandlung. Diese ist voll gestopft mit Eltern und ihren Kindern, die Schulbücher kaufen. Nach langem Suchen finde ich die passenden Wanderkarten für die letzten Etappen. Ich weiß nicht, wie es mit meinem Oberschenkel weiter gehen wird. Auf dem GTA nach Ventimiglia gibt es keine Möglichkeit mehr, mit öffentlichen Verkehrsmitteln weg zu kommen. Ich brauche eine Karte, um eventuell kürzere Alternativen zu finden und im größten Notfall aussteigen zu können. Aber eigentlich zählt nur noch eines: anzukommen. Egal wie! Hauptsache, das Ziel erreichen! 
Mit dem Bus geht es nach San Bartolomeo. Von dort aus steige ich zur Hütte auf. Es ist total neblig. Aussicht habe ich keine. Immer wieder kommen Tagesgäste entgegen. Der Aufstieg klappt gut. Ich habe keine Schmerzen. Das gibt mir wieder Mut. An der Hütte treffe ich die beiden Iren und vier Allgäuer, die nun das gleiche Ziel wie ich haben. Alle samt ziemlich erschöpft von der langen Etappe. Da war ich mit meiner kurzen Tour die fitteste. 

Am nächsten Tag geht es das letzte Mal durch richtig alpine Gelände. Das Karstgebiet sieht etwas aus wie in den Dolomiten. Steile schroffe Berge ragen über flache grüne Wiesen auf. Ein wirklich schöner Abschnitt.  Nach einem langen eher flachen Abschnitt geht es nun sehr steil bergab. Und wer meldet sich da mit großer Begeisterung wieder: mein Oberschenkel! Langsam und mühsam geht es nach Carnino Inferiore in die gemütliche kleine Foresteria. Hier werden wir bestens versorgt. Riesige Mengen werden zum Abendessen aufgetischt. Obwohl es der letzte Tag der Saison ist. War ich am Anfang der erste Gast, so sind wir jetzt die letzten für dieses Jahr.

Auch in Monesi diTriora sind wir die letzten Gäste. Allerdings nicht nur für diese Saison, sondern erstmal für unbegrenzte Zeit. Letzten November hat eine Schlammlavine ein paar Häuser des Nachbardorfes vollständig zerstört. Und auch die Straße dorthin und die Brücke nach Monesi di Triora. Das Albergo ist seitdem abgeschnitten. Die Hotels und Bungalows drum rum scheinen schon komplett verlassen. Das Skigebiet ist nicht mehr in Betrieb. Wir sind die letzten, die in diesem Ort übernachten werden. Mit dem Verlassen der Pächter des Albergos wird dieser Ort wie viele anderen zur Geisterstadt. Eine bedrückende Vorstellung! Wo doch schon so viel leer steht!

Mit dem Verlassen des Piemont und dem Eintritt nach Ligurien, habe ich nun fast den ganzen Original GTA geschafft. Bis auf zwei Etappen. Nun wechselt man auf den ligurischen Höhenweg bis nach Ventimiglia.  

Mit dem Monte Saccarello erreichen wir den höchsten Berg Liguriens und den letzten 2000er auf meiner Tour. Von nun an geht es immer nach Süden auf das Meer zu. Mittlerweile kann ich es nicht nur erahnen, sondern deutlich sehen. Die Berge hören auf. Aus Bergen werden Hügel. Vor uns liegt Ventimiglia und in der Ferne sogar Korsika.

Nun sind es noch zwei Tage bis ans Meer. Wie ich mich darauf freue!

Durch den Naturpark Alpe Marittime

Als ob Klöster eine anziehende Wirkung auf mich hätten, findet nach drei Tagen schon der nächste Ruhetag im Santuario Sant Anna statt. Allerdings auch dieses Mal eher ungeplant. Morgens starte ich früh, um das Rifugio Malinvern möglichst schnell zu erreichen, denn ab Mittag sind Gewitter gemeldet. Schon beim Losgehen ist das Kloster umgeben von dichten Wolken. Die meisten sind harmlos. Doch eine dicke schwarze Wolke hängt genau in meiner Richtung. Ich gehe genau auf sie zu. Nach einer guten halben Stunde erreiche ich den ersten Pass. Mittlerweile mitten im Nebel. Um mich herum ist alles dunkel. Und hinter mir wird heute wohl keiner mehr kommen. Es sind ja keine GTAler außer mir unterwegs. Außerdem bin ich für starken Regen nicht ausgerüstet. Meine Schuhe sind mittlerweile ganz schön abgelaufen und haben Löcher. Wasserdicht, Fehlanzeige! Die nette ältere Dame an der Rezeption staunt nicht schlecht, als ich eine halbe Stunde später wieder zurück am Kloster bin und nach einem Zimmer frage. 

Wie ich später erfahre, waren doch noch zwei andere an diesem Tag auf der gleichen Etappe unterwegs. Sie sind die ersten zwei Stunden allerdings anders gegangen. Deshalb habe ich sie nicht getroffen. Sie bestätigen mir, dass meine Entscheidung umzukehren, genau richtig war. Sie sind in einen heftigen Sturm mit viel Regen geraten. 

Ich dagegen liege im Trockenen, schlafe noch mal richtig aus, und als Krönung des Tages tauchen sieben andere GTAler auf. Ich bin nun nicht mehr allein! 

Einer (Fast-)Rentner Dreiergruppe aus Darmstadt schließe ich mich für eine Woche an und werde mit Grünkernsuppe und Gemüsebrühe aus dem Campingkocher an den schönsten Plätzen in den Seealpen verwöhnt. Langweilig wurde es mit diesen dreien nicht, wurde doch die meiste freie Zeit für stundenlange Skatspiele genutzt. Da bin ich mal wieder richtig zum Spielen gekommen.


Die erste Etappe nach dem Kloster führt das erste Mal nach Frankreich. Allerdings nur im Slalom um die Grenzsteine herum. Reste eines alten Stacheldrahtzauns zeugen davon, dass die Grenze nicht immer so leicht zu überschreiten war.

Ein Blick nach Frankreich zeigt, was auch schon die Karte vorhergesagt hat: das riesige Skigebiet Isola 2000. Zum Glück ist die Retortenstadt kaum zu sehen. 

Glücklicherweise zweigt der GTA bald wieder nach Italien ab und mit Erreichen eines weiteren Passes betreten wir eine ganz besondere Landschaft. Wunderschöne Seen in einem Hochtal, umgeben von lauter hohen und schroffen Bergen. Die Seealpen sind ein wunderschönes, allerdings auch sehr schroffes Gebirge. Wiesenhänge gibt es nur wenige. Hier im westlichen Teil der Seealpen treffen wir außer den anderen GTAlern niemanden. Eine landschaftlich eindrucksvolle und sehr einsame Gegend! 


Wie in vielen anderen Gegenden auch, dominiert hier ein Berg besonders: die Agentera. Mit 3292m der höchste Berg der Seealpen. Daneben der Monte Gelàs mit dem südlichsten Gletscher der Alpen. Und das gerade einmal 40km entfernt vom Mittelmeer! 


Mit dem Übergang zum Rifugio Valasco betreten wir den Naturpark Alpe Marittime und damit auch ein touristisch deutlich besser erschlossenes Gebiet. Die Hüttendichte ist sehr groß und auch die Dichte der Tageswanderer und Mehrtageswanderer nimmt deutlich zu. Zum einen, da Wochende ist, und zum anderen, weil dieses Gebiet der Seealpen deutlich bekannter ist. Überfüllt ist es trotzdem nicht. Besonders beeindruckend sind hier und die nächsten Tage die raffinierten Wagführungen und die toll angelegten Wanderwege. Selbst steile Abschnitte wurden kunstvoll entschärft und fast mühelos bewältigt. Die meisten Wege sind alte Militärwege. Auch einige Ruinen von Kasernen zeigen von einer harten Zeit in den Bergen während des Krieges. 


Das Rifugio Valasco ist schon von weitem zu erkennen. Es handelt sich um ein altes Jagdschloss von König Vittorio Emanuele II. So ein Gebäude habe ich noch nie gesehen und schon gar nicht mitten in den Alpen. Ein buntes mit zwei Türmchen versehenes, etwas kitschiges Gebäude. Allerdings mit tollen Lagern und wunderbarem Essen! 


Wie schon im Gran Paradiso Nationalpark sorgte König Vittorio Emanuele II. dafür, dass sich aus dem königlichen Jagdrevier ein Naturschutzgebiet entwickelte. Da er alleiniges Jagdrecht in diesem Gebieten beanspruchte, sorgte er dafür, dass bestimmte Tierarten,wie der Steinbock, nicht ausstarben. Diesen können wir neben einigen Gämsen und Adlern auch beobachten. 


Auch die nächsten Etappen durch den Naturpark sind wunderschön. Auf jedem Pass überzeugt die schöne Sicht und ab und zu zeigt sich auch der Monviso in der Ferne. Doch dann heißt es erst einmal Abschied nehmen von der Bergwelt und hinunter in das nächste Dorf mit Laden und dem letzten Bankomat vor dem Meer: Entracque. Groß ist Entracque mit 770 Einwohnern zwar nicht, doch mir aus der Ferne schon deutlich zu groß. Doch das von außen städtisch und groß wirkende Dorf, stellt sich dann doch als eine nette Ortschaft heraus. Auch hier ist die italienische Gelassenheit, die ich so schätze, vorhanden. Keiner stört sich daran, dass der Bankomat mitten am Tag ein Systemupdate macht und erst 20 Minuten später wieder zur Verfügung steht. Warum auch! Kommt man halt später nochmal vorbei!


Heute betreten wir nun doch ein Skigebiet: Limonetto am Tendapass. Das lässt sich nicht vermeiden.

Morgen geht es noch einen letzten Tag nach Westen, bevor ich dann endgültig nach Süden abbiege und in vorrausichtlich sieben Etappen endlich das Meer erreiche.  

Von den Cottischen Alpen in die Seealpen

Für alle, die es interessiert, mal wieder ein paar Zahlen (mich selber interessiert das mittlerweile nicht mehr besonders ;)):


Strecke: 1.795 km

Aufstieg: 94.300 hm

Abstieg: 92.500 hm

101 Gehtage

555 Stunden reine Gehzeit 

15 Ruhetage

2 Regenwandertage


In den letzten Tagen gesellt sich nun auch wieder mein treuer Begleiter hinzu, der mir von Anfang an das Wandern erschwert und an den ich mich wohl nie gewöhnen werde: die Hitze! Die Sonne brennt vom Himmel. Auch wenn es schon fast September ist, ist sie hier im Süden doch noch ganz schön intensiv. Morgens geht es meistens noch, doch dann erschwert sie jeden sonst noch so gemütlichen Abschnitt. Auch wenn ich bis jetzt schon viel in der Hitze gewandert bin, gewöhne ich mich einfach nicht daran. Obwohl ich genug trinke, bekomme ich irgendwann Kopfschmerzen und muss raus aus der Sonne. Umso mehr begeistert mich der Wetterbericht für die nächsten Tage. Nicht nur in Deutschland, sondern auch hier, soll es einen Temperatursturz geben!


Da ich nun schon die Seealpen erreicht habe, stellt sich nun seit langem mal wieder die Frage nach dem weiteren Weg. Und vor allem auch nach dem Ziel. Wo will ich ankommen und wann? Dass es das Mittelmeer sein muss, steht fest. Was gibt es für ein besseres Ziel, als das Meer, will man den ganzen Alpenbogen ablaufen. Doch soll es Nizza, Monaco oder Ventimiglia sein? Ich habe den GTA nun schon seit längerem ins Herz geschlossen und bin, wie viele andere auch, fasziniert von diesem Weg. Dieses einsame Wandern durch sehr eindrucksvolles Gelände und dazu super Essen ist schon einmalig! Deshalb steht schon seit längerem für mich fest, dass ich den GTA zu Ende gehen möchte. Falls das Wetter passt, ich früh genug dran und natürlich auch noch fit genug dazu bin. Und das alles trifft nun zu. Ich bin nun so nahe an Frankreich, mein Handy ist schon fest davon überzeugt, dass ich dort bin und schlägt mir nur noch französisches Netz vor, dass es leicht wäre, nach Frankreich zu wechseln und schnurstracks nach Süden nach Nizza zu wandern. Dort wäre ich in einer guten Woche. Doch die französischen Alpen sind voller, als die italienischen. Außerdem ist Nizza bestimmt nicht mehr das richtige Ziel für mich. Schon wenn ich daran denke, überfordert mich die große Stadt. Ich brauche etwas kleineres. Auf den Rat von Mitwanderern und Hüttenwirten wird es nun Ventimiglia. Das bedeutet erst einmal einen Richtungswechsel. Ich gehe nun in die einzige Richtung, die ich bisher ausgelassen habe: Osten! Immer an der französischen Grenze entlang, tagsüber auch mal in Frankreich, bis zu den ligurischen Alpen, von wo aus es dann endgültig nach Süden bis ans Meer gehen soll. Das wird noch etwa zwei Wochen dauern. 


Der August neigt sich nun dem Ende zu und es wird langsam Herbst. Das merkt man zum einen an der Herbstzeitlose, die so manche Wiesen schmückt, und an den immer bunter werdenden Blätter der Bäume. Zum anderen ist die Zeit um den Ferragosto vorbei. Der 15. August ist der wichtigste Feiertag der Italiener und rund um diesen Tag herum ist fast ganz Italien unterwegs. In dieser Zeit sind auch die Berge vor den Italienern nicht sicher. Nun geht aber auch die Ferienzeit zu Ende und Tagesausflügler verirren sich immer weniger in die Berge. Selbst auf dem GTA wird es ruhiger. Wobei es nie besonders voll war und maximal 18 Wanderer in einer Unterkunft waren. Für österreichische Verhältnisse wären das fast leere Hütten.

Die letzten beiden Tage bin ich nun wieder alleine unterwegs. GTAler gibt es keine mehr. Die letzten beiden, mit denen ich ein paar Tage gewandert bin, sind gestern Vormittag nach Hause gefahren. Einsame und verlassene Wege, wie ich es ganz zu Beginn meiner Reise und in Italien auch mal zwischendurch hatte, prägen den Weg. Gestern morgen bin ich in die westlichen Seealpen eingetaucht. Die Cottischen Alpen liegen hinter mir. Pässe mit toller Aussicht und zwei atemberaubende Hochtäler liegen hinter mir. Ganz alleine kann ich diese Schönheit genießen. Außer mir war an diesem Tag wohl niemand mehr hier. Die Landschaft wird nun noch trockener, manch eine Hochebene ähnelt mehr einer Steppe. Grünes Gras gibt es nicht mehr. Die Berge werden schroffer und zackiger. 

Ganz alleine bin ich doch nicht ganz. Adler kreisen fast täglich über mir. Oft mehrere und mehrmals. Murmeltiere und Steinböcke zeigen sich wieder vermehrt. 

Und gibt es irgendwo einen Parkplatz, so ist sogar der eine oder andere Italiener im Umkreis von einer Stunde Gehzeit anzutreffen. Viel weiter scheinen die meisten Italiener nicht zu kommen, wie es mir oft vorkommt. Doch auch diese nehmen stark ab. 


Die letzten Tage sind auch von starker Religiosität geprägt. Mehr als zuvor säumen Kirchen, Kapellen und Säulen mit christlichen Motiven, wobei ich selber nicht richtig weiß, was es ist, den Wegesrand auf dem Weg ins Sturatal. Die tollsten Gemälde und Fresken in wunderschönen Erdfarben schmücken die Wände der vielen Kirchen aus dem 15. bis 17. Jahrhundert. Ganz besonders eindrucksvoll ist die Allamandi-Kapelle im Santuario San Magno. In diesem Kloster findet der nächste Pausetag statt. Zwar eher gezwungen, da das Posto Tappa im nächsten Ort Sambuco voll ist, aber mir tut er sehr gut. Geschlafen wird im einzigen Gebäude, das es gibt: der Kirche. Außen um die eigentliche Kirche herum, befinden sich einfache Schlafräume. Kurz nach der Ankunft schallt das Rosenkranzgebet über die gesamte Anlage. Über Lautsprecher wird es übertragen. Nach einer geschlagen Stunde nimmt das monotone, ich muss schon fast sagen Geleiere, das mich in den Mittagschlaf hineinleitet, ein Ende. Zum Glück gibt es morgens nicht noch mal ein über das ganze Gelände schallendes Morgengebet. Es ist Sonntag und der Parkplatz vor dem Kloster füllt sich. Viele Italiener kommen zum Wandern, Radfahren und in die Kirche. Diese ist während dem Vormittagsgottesdienst gerappelt voll. Macht ja nichts, wieder dröhnt in voller Lautstärke die Stimme des Priesters über das gesamte Gelände. So wie auch zum Mittagsgebet und danach zum Rosenkranz. Verpassen kann man nichts. Obwohl viele Leute da sind, ist es ruhig. Kein Schreien, kein Zanken, kein ständiges Ermahnen der Eltern gegenüber ihren Kindern. Die meisten sitzen im Schatten und picknicken. 


Der nächste Abschnitt führt über eine schöne Hochebene und eine enge Schlucht nach Sambuco. Und hier tobt der Bär. Hier ist gerade irgendein Fest. Kein Wunder, dass wir gestern kein Bett mehr bekommen haben. Im Gegensatz zum Kloster ist es laut. Auf dem Platz vor dem Rathaus findet ein Kinderprogramm statt. Die Kinder rennen laut lärmend durcheinander. Im Hotel führt man mich ins Posto Tappa. Allerdings nicht so herzlich und freundlich, wie ich es von den abgeschiedenen kleinen Orten gewohnt bin, sondern eher distanziert und förmlich. Das ist nun eben ein Hotel. Doch wohl fühle ich mich hier nicht. Das bessert sich auch nicht mit einem Blick ins Posto Tappa: eine sehr moderne, picobello aufgeräumte und geputzte, bis aufs letzte Detail durchdachte Ferienwohnung. In anderen Urlauben wäre ich davon begeistert gewesen. Ich stehe da und betrachte die großen mit Sonnenlicht durchfluteten Räume. Modern und stilvoll. Und will nur weg. Ich passe, stinkend und schmutzig wie ich bin, nicht hier her. Wie viel lieber hätte ich ein knarzendendes rotes Stockbett, das hin und her wippt, auf dem man das Gefühl hat, auf einem schwankenden Schiff zu sein und das sich anfühlt, als ob es irgendwann zusammen kracht. So wie ein paar Tage zuvor, wo wir im Rathaus übernachten durften. Das Rathaus ist die ganze Zeit geöffnet und oben in einem Raum sind vier Stockbetten für Wanderer bereit gestellt. Gegessen wird in der Trattoria, wo wir mit bestem Essen verwöhnt werden. Die Atmosphäre ist familiär. Es ist alles einfach, doch die Menschen sind glücklich und unglaublich freundlich und hilfsbereit. So gefällt es mir. In Sambuco ist alles anders. Zum Abendessen sind alles Gäste in einem Raum zusammengepfercht. Es ist stickig und laut. Am liebsten würde ich gleich wieder gehen. Doch der Hunger ist größer. Wie nicht anders zu erwarten, gibt es Hotelkost. Geschmackloses Essen! Nicht mal die Spaghetti mit Tomatensauce sind gut. Das Gemüse schmeckt nach nichts. Vielleicht bin ich aber auch nur mit frischem Obst und Gemüse aus dem Garten oder aus der Nähe, reif gepflückt, verwöhnt.


Umso mehr genieße ich es auf dem Rifugio Migliorero, laut Wanderführer eine der schönsten Hütten der Alpen. Auf die Lage mag das zutreffen. Sie liegt wunderschön auf einem kleinen Hügel von zwei Seen umgeben. Von innen ist sie aber eine große CAI Hütte, wie jede andere. Vielleicht sogar eher älter und schmuddeliger. 

Heute bin ich nun wieder in einem Kloster. Dieses Mal im Santuario Sant Anna, dem höchst gelegenen Kloster Europas auf 2035m.

Highlights rund um den Monviso

Mit Susa lasse ich die wohl letzte größere Stadt vor dem Meer hinter mir. Mit gerade einmal 6.000 Einwohnern ist sie zwar nicht besonders groß, ich fühle mich dort allerdings nicht besonders wohl. So viele Menschen und Verkehr! Um so besser, dass es schnell wieder zurück in die einsamen Berge geht! Dieses Mal zusammen mit meiner Schwester. Auch sie genießt mit mir, wenn auch nur für ein paar wenige Tage, die südlichen Alpen. Denn, dass ich immer weiter nach Süden komme, merke ich deutlich. Die Landschaft wird trockener und staubiger. Trotzdem ist es wunderschön!


Ich steuere immer mehr dem Monviso entgegen. Schon lange ist er ein wichtiger Orientierungspunkt auf meiner Reise. Das erste Mal habe ich ihn schon vor etwa einem Monat gesehen. Ein mächtiger Berg! Und mit 3.841m der südlichste Berg über 3.500m der Alpen! Und er überragt alle umliegenden Gipfel um mindestens 500m. Kein Wunder, dass dieser markante Berg schon aus weiter Ferne zu erkennen ist! 


In der letzten Woche geht es nun immer näher auf ihn zu. Auch wenn man ihn nicht immer sehen kann. Naja, halt das typische Wetter im Piemont: morgens klarer Himmel und gegen Mittag zieht es zu. Und wenn man nach stundenlangem Aufstieg den Pass erreicht, sind plötzlich alle Gipfel weg. Oft ist man sogar selbst in dichtem Nebel! Abends wird es wieder ganz klar, aber im Tal ist die Aussicht auf die umliegenden Gipfel nicht besonders groß. Trotzdem sind die Etappen wunderschön! Tolle Badegumpen und grüne Hochtäler wechseln sich ab.


Und dann, am letzten Pass vor dem Monviso, erwartet und uns ein Schauspiel der ganz besonderen Art. Ganz großes Kino! Wir sitzen auf dem Pass vor einer großen Wolkenwand. Und plötzlich, weit oben, reißt der Himmel auf und der Monviso schaut auf uns hinab. Und einen Augenblick später ist er wieder verschwunden. Und so wechselt dieses Vorhang auf und wieder zu sich ab. Immer ist ein anderer Ausschnitt zu sehen. Das ist schon was ganz besonderes!


In Pian Melze heißt es wieder Abschied nehmen. Dieses Mal fällt es mir besonders schwer. Die achtköpfige Gruppe aus dem Schwaben und Franken habe ich schon sehr ins Herz geschlossen. Aber es ist immer das selbe auf diesem Weg. Ich lerne sehr nette Menschen kennen, mit denen ich ein kleines Stück des Weges gemeinsam gehe. Sie hören irgendwann auf und für mich geht es immer weiter. Doch das Abschied nehmen wird immer schwerer. Wie gerne hätte man, das manche Momente einfach nie zu Ende gehen.

Auch heute früh, kurz vor dem Mairatal, heißt es wieder Abschied nehmen. Dieses Mal von drei sehr nette Frauen, die ich sehr ins Herz geschlossen habe. Die letzten Tage mit ihnen habe ich schon sehr genossen. Und in der ersten Phase meines Aufstiegs habe ich sie dann sehr vermisst.


In Pian Melze bin ich direkt vor dem Monviso. Mächtig ragt er über dem Tal auf. Allein sind wir GTA Wanderer hier allerdings nicht! Schon während dem Frühstück machen sich die Parkplatzeinweiser bereit, die Massen an Tagestouristen, die an diesem schönen Sonntag erwartet werden, einzuweisen. Kein Wunder, für die Italiener ist der Monviso ein sehr wichtiger Berg. Und neben dem Berg entspringt hier auch der Po. Wie klein das Bächlein hier noch ist. Kaum zu glauben, dass er zum längsten Fluss Italiens wird! An der Poquelle wird natürlich erst einmal die Trinkflasche aufgefüllt, bevor es in die Steinwüste unterhalb des Monviso geht. An Seen vorbei geht es immer höher bis fast an die mächtige Wand heran. Da das Wetter super ist, lohnt der Abstecher auf den Viso Mozzo. Er wird natürlich vom Monviso um Längen überragt, ist aber mit über 3.000m ein toller Aussichtsberg. Ich steige mit dem Rücken zum Monviso auf. Hinter mir poltert es immer wieder. Der Monviso ist kein ruhiger Berg. Im Gegenteil! Ständig kommt es auf der Nordwand zu Steinschlag. Poltern und Staubwolken! Ein Berg, vor dem ich großen Respekt habe.

Vom Gipfel des Viso Mozzo ist die Sicht genial. Die Monte Rosa ist in aller Pracht zu sehen. Natürlich auch der Mont Blanc und der Gran Paradiso. Im Süden ganz deutlich die Seealpen! Dahinter muss sich schon das Meer verstecken. 


Auch die nächste Etappe am Monviso ist ein absolutes Highlight. Wieder spielt das Wetter super mit. Keine Wolken! Nur blauer Himmel und Sonnenschein! Es geht durch Felder von Steinmännchen, an Seen vorbei und hinunter in den größten Arvenwald der Alpen. Auch wenn ich mir immer noch nicht sicher bin, was Arven sind, war der Wald ein ganz besonderes schöner Wald!

Begleitet werden diese Etappen, und auch die nächsten, immer wieder mit atemberaubenden Blicken auf Adler, die sich elegant in die Höhe schrauben. Wir werden mit etlichen spektakulären Momenten verwöhnt. 


Wieder weg vom Monviso wird es ruhiger. Nach einer sehr kurzen Etappe wollen wir im Rifugio Savagliano oberhalb von Pontechianale übernachten. Doch in diesem schmutzigen und muffigen Rifugio wollen wir nicht bleiben. Also wieder zurück ind das kleine schöne Dorf. Dort gibt es ein B&B, wo wir sehr herzlich aufgenommen werden. Es ist ein wunderschönes Haus mit schönem Garten. Die Besitzerin ist unglaublich nett und ist selber schon viel gewandert. Am liebsten würde sie mit mir bis ans Meer gehen. 


Heute, nach dem Abschied nehmen, beginnt wieder eine sehr einsame Tour. Auf dem GTA ist außer mir gerade noch ein älteres Ehepaar unterwegs. Sonst niemand. Das stabile Wetter ist leider auch wieder vorbei und am Nachmittag gewittert es heftig. In San Martino komme ich am Posto Tappa an und kann es kaum glauben. Ich werde sehr freundlich begrüßt, und zwar auf Deutsch. Hier sprechen alle Deutsch. Sowohl Gäste, als auch die Gastgeber. Die Broschüren und das Anmeldeformular, alles ist auf Deutsch. Ungewöhnlich. Mittlerweile bin ich in okzitanischem Gebiet und habe mich schon daran gewöhnt, dass Ortsnamen für mich kaum aussprechbar werden und überall auch Französisch gesprochen wird. Aber mitten im Piemont ein kleines Stück 'Deutschland' zu finden, ist recht ungewöhnlich. Die Betreiber kommen aus Deutschland und machen viel dafür, den Tourismus im Mairatal zu fördern. Das Posto Tappa liegt wunderschön auf einem Hügel mit großer Terasse und einem kleinen Garten. Ein paar Deutsche machen hier mehrer Tage Urlaub. Es istaber auch ein wirklich wunderschöner Ort und eines der schönsten Unterkünfte auf meinem bisherigen Weg!

Hoch hinaus

Auch diese Woche hat eine Menge Highlights zu bieten. Zwei Mal geht es über 3.000m in das Reich der kargen Berge, in dem nur Eis und Fels die Landschaft beherrschebeherrschen. 


Von Ceresole Reale beschließen wir, mit dem kostenlosen Bus zum Colle dem Nivolet zu fahren. Schon die Busfahrt auf den 2600m hohen Pass ist ein Erlebnis. Eine Stunde geht es Kurve um Kurve die Passstraße hinauf. Der Blick aus dem Fenster wird immer weiter und toller. Bald rücken auch die Gletscher wieder ins Blickfeld. Gerade der Gegenverkehr auf der engen Straße ist eine echte Herausforderung. Bin ich froh, dass ich nicht fahren muss! 


Wir haben ein richtiges Postkartenwetter. Knallblauen Himmel und Sonnenschein! Erst gegen Nachmittag ziehen kleine Wölkchen auf. Der weitere Weg führt uns an Seen vorbei durch grüne Wiesen. Hinter uns ragt der Gran Paradiso mit über 4.000m auf und rund herum einige andere nicht ganz so hohe vergletscherte Gipfel. Je höher wir kommen, desto karger und felsigen wird die Umgebung. Wir wandern bis zum Colle dem Leynir auf 3084m. Nun wird auch die Sicht nach Frankreich frei. Ist ja wirklich nicht mehr weit. Die vergletscherte Gipfelkette bildet gerade die Grenze. Und siehe da: vor uns ragt markant der Mont Blanc in die Höhe. Immer wieder ist die Spitze sogar ohne Wolken zu sehen. Toll! Zwei Stunden liegen wir dort oben in der Sonne mit Blick auf die hohen Berge. Das verschafft sogar mir noch einen kleinen Sonnenbrand. 

Nach diesem tollen Ausflug geht es zurück nach Ceresole Reale. Und hier ein Phänomen, das ich auf dem GTA noch nicht hatte: das nächste Posto Tappa ist ausgebucht! Das Hotel im Ort hat aber noch Plätze. Wie sich später herausstellt, sind nun 18 GTA Wanderer auf diesem Abschnitt unterwegs!  


Die nächsten Etappen führen immer über einen hohen Pass in die Lanzotäler. Vor allem früher waren diese Bergtäler bei den Turinern in den heißen Sommermonaten sehr beliebt. Heute gleichen die Hotels fast Altersheimen. Fast nur sehr alte Leute verbringen den heißen August hier oben. Obwohl das bergsteigerische Angebot groß ist. Am Talschluss in Richtung Frankreich gibt es vergletscherte hohe Gipfel,  Wanderrouten gibt es überall und sämtliche Klettergärten sind eingerichtet.


Die Hitze, die mich die Woche vorher so fertig gemacht hat, weicht kühleren Temperaturen und auch instabileren Wetterverhältnissen. Der Übergang vom zweiten ins letzte Lanzotal wird uns durch starken Regen und Gewitter sogar verweigert. Da der Wetterbericht für den nächsten Tag auch nicht viel besser aussieht, beschließen wir außenrum zu fahren. Eine abenteuerliche Fahrt. Die Busse hier sind nicht gerade für 18 Wanderer ausgerichtet. Der letzte Bus ist sogar zu klein! Doch der Busfahrer tauscht den Bus innerhalb von weniger als 10 Minuten in einem größeren um. Das wäre bei uns undenkbar! Da müsste man auf den nächsten warten. Aber da fährt der Bus ja auch öfter als zwei Mal am Tag.


Die nächsten Tage werden etwas stabiler, kein Regen, aber es wird deutlich kälter. Das nächste Highlight steht an: die Rocciamelone. Lange sogar als höchster Berg der Alpen verkannt. Immerhin ragt Sie über 3.000m über Susa auf! Sie sorgt für einiges an Gesprächsstoff am Abend. Wie wird das Wetter sich entwickeln? Wann kann man am besten den 3538m hohen Berg besteigen? Wird es überhaupt gehen? Fest steht: wir alle wollen hoch! Schon zwei Tage vorher, zeigt der Gipfel sich am Abend unten am Rifugio Vulpot. Hoch ragt er über dem See empor! Hoch und steil! Diesen Berg soll man einfach besteigen können? Mal schauen! 


Der Weg vom Rifugio Vulpot zum Rifugio Ca d'Asti am Fuß der Rocciamelone ist wunderschön und führt immer auf der Höhe über steile Grasflanken. Immer wieder geben die Wolken das Susatal und die Berge dahinter frei. Ein toller Weg! An der Hütte angekommen fragen wir nach: Wann sollten wir am besten den Gipfel in Angriff nehmen? Jetzt noch oder morgen früh? Das kann keiner so genau sagen. Das Wetter ist sehr unbeständig. Jetzt ist der Gipfel in Wolken und reißt vielleicht noch auf. Für morgen ist das Wetter tendenziell besser angekündigt, dafür soll es deutlich kälter werden. Die Null Grad Grenze soll auf der Höhe der Hütte auf 2800m liegen! Wir beschließen, es morgen früh zu probieren.


Auf der Hütte mit 90 Betten ist sehr wenig los und so sind wir nur zu fünft. Wir werden herrlich bekocht und nach dem Essen reißt sogar der Himmel ganz auf. Wunderschön! Auch der Blick auf die Poebene wird frei! Aber nur kurz, bevor die Wolken unter uns wieder die Regie übernehmen. Und dann erleben wir ein ganz besonderes Schauspiel hoch über der Poebene. Eine riesige hohe Wolke bäumt sich im Licht des Sonnenuntergangs über der Ebene auf. Kurz darauf geht das Gewitter dort unten los. Was für ein Schauspiel aus der Ferne von hoch oben! Es folgt ein Gerenne zwischen der Terasse vor der Hütte und dem wärmenden Ofen. Denn draußen ist es bitter kalt!


Ein schneller Blick aus dem Fenster um 6 Uhr morgens verrät eine klare Sicht! Schnell hüpfen wir aus dem Bett. Nichts wie fertig machen und los! Auf dem Weg hinauf sehen wir sogar eine ganze Herde Steinböcke! Mindestens 16! Der Blick reicht heute bis zum Monviso, der mittlerweile deutlich näher gerückt ist, und zum südlichsten 4.000er der Alpen, dem Barre des Ecrins. Super schön! Vom Vorgipfel auf 3.306m ist die Sicht am besten. Nun wird auch der Blick auf den Hauptgipfel frei. Eine kleine Wolke sammelt sich drum herum. Wir gehen weiter. Die Wolke wird immer dichter, es wird eiskalt und dann beginnt es zu schneien. Trotzdem weitergehen? Weit kann es nicht mehr sein! Hoffentlich schneit es nicht zu arg! An eisigen kalten Seilen entlang geht es schließlich bis zum Gipfel. Mittlerweile bedeckt eine dünne Schneeschicht den Fels. Zum Glück gibt es die Seile! Und dann sind wir oben! Die Sicht ist zwar gleich null, aber die Lichtstimmung was ganz besonderes. Wie sich die Sonne durch die Wolken kämpft! Statt einem Kreuz steht hier oben eine riesige Madonna. Schließlich ist dies der höchste Wallfahrtsberg Europas! 

Mittlerweile sind die Hände und Füße eiskalt! Die Haare weiß und gefroren. Ich komme mir vor wie auf einer Expedition. Dick eingepackt im Schneetreiben in dieser Kälte. Bald machen wir uns auf den Rückweg. Zum Glück ist der anstrengende schneebedeckte Teil bald hinter uns und der Abstieg wird leichter. Trotz Schnee, war es ein tolles Erlebnis dort oben!


Heute ist nun das eisige Wetter hinter uns und es wird wieder wärmer. Wir sind nun oberhalb von Susa, wohin wir später absteigen werden. Das wird wohl die letzte größere Stadt vor dem Meer sein!  

Höhen und Tiefen

Es ist mal wieder Zeit für eine kleine Zwischenbilanz:

Strecke: 1430 km

Aufstieg: 70.000 hm

Abstieg: 69.000 hm

76 Gehtage

418 Stunden reine Gehzeit 

13 Ruhetage

2 Regenwandertage


Die folgenden Tage machen es mir wirklich nicht leicht. Nachdem die erste Zeit auf dem GTA eher angenehm kühl und neblig war, wird es nun richtig heiß und schwül. Die Anstiege und die Abstiege werden noch länger und steiler. Jeden Tag geht es zuerst über 1000 hm hoch, um auf der anderen Seite dasselbe wieder runter zu dürfen. Das ist eigentlich kein Problem mehr für mich. Doch die Strecken sind sehr steil und sowohl die Temperatur, als auch die Luftfeuchtigkeit viel zu hoch. Eines wird mit hier wieder sehr deutlich: der GTA ist bestimmt kein Wanderweg, auf dem man Strecke machen kann! Denn die Entfernung, die man in der Luftlinie zurücklegt, beträgt nur zwischen 5 und 7 km. Und dazwischen ist immer ein hoher Pass.


Langsam fängt mich das an zu nerven. Jeden Tag schleppe ich mich bei dieser Affenhitze hoch auf den Pass, nur um auf der anderen Seite wieder endlos hinunter gehen zu dürfen. Eine Sicht hab ich nur kurz auf dem Pass, aber nur wenn die Wolken gnädig sind. Dann geht's wieder runter. Höhenwege Fehlanzeige! Immer dieses ständige auf und ab. Die Höhenprofile sind immer das gleiche: ein großer Zacken. Die letzten 5 Tage war das besonders hart. 


Und gestern habe ich neben den ganzen Hoch und Tiefs des Wanderwegs auch einen mentalen Tiefpunkt! Da kamen einfach zu viele Faktoren zusammen. Die Basis bilden natürlich das Wetter und die Höhenmeter. Vor zwei Tagen übernachte ich in einem Posto Tappa. Die Bar, in der gegessen wird, ist schmuddelig. Umso überraschender ist das gute Abendessen. Das Frühstück ist aber alles andere als gut. Vieles ist alt und manches meiner Meinung nach auch verdorben. Die Folge: Verdauungsprobleme, Durchfall, Magenkrämpfe. Nicht nur bei mir. Die beste Voraussetzung füreine besonders lange Tour! 

Dementsprechend erschöpft war die Ankunft in der besonders guten Unterkunft in San Lorenzen. 12 verschiedene Platten mit typischem Essen für dieses Tal werden aufgetischt. Super lecker! Und eine weitere Überraschung erwartet mich hier: ich treffe eine Familie wieder, die vor über einer Woche in Carcoforo den GTA verlassen hat. Ich hätte nie gedacht, sie wieder zu treffen! Es ist sehr beeindruckend. Sie sind mit zwei Kindern mit 7 und 9 fast zwei Wochen zu Fuß unterwegs! 


Laut Wanderführer sollte eine gemütliche Etappe folgen. Dies führt zu einem großen Fehler: Trödeln beim Frühstück. Um 9:30 Uhr gehen wir los. Viel zu spät! Es ist mittlerweile wieder knalle heiß. Schon der Aufstieg macht mir zu schaffen. Kein schöner Wanderwegführt führt den Wald hinauf, sondern ein erdiger Pfad geht steil und ohne Serpentinen gerade hoch. Pitschnass erreichen wir den höchsten Punkt. Hoffend, dass das schlimmste Stück vorbei ist. Doch der Abstieg ist dermaßen steil und teilweise ausgesetzt, dass man auf keinen Fall ausrutschen darf. Von der Hitze sowieso schon völlig fertig, gibt mir das den Rest! 


In der Unterkunft angekommen, habe ich das erste Mal auf meiner ganzen Tour überhaupt kein Bock mehr. Wie mich die letzten Tage platt gemacht haben! Ich verfluche nur noch den GTA mit seinen unglaublich steilen Abschnitten. So ein Auf und Ab kenne ich aus dem Ostalpen nicht. Nicht diese Steilheit! Und der Rucksack fühlt sich auch immer schwerer an! Höchste Zeit für einen Tag Pause! Ich bin auch schon wieder 15 Tage ohne Pause gegangen. Auch wenn es schwerfällt, manche netten Bekanntschaften somit zu verlassen. 


Meinen freien Tag verbringe ich größtenteils hinter dem Wasserfall oberhalb von Noasca. Hier ist es angenehm kühl! Und von hier aus sieht die Welt auch schon wieder anders aus. Ein kleines bisschen Lust aufs Weitergehen bekomme ich schon wieder. Heute bekomme ich wieder Begleitung. Wie ich mich schon drauf freue! Das wird meine Motivation hoffentlich wiedewieder auf das alte Niveau bringen. 


Trotz meinem mentalen Tief, ist die Tour über die Pässe natürlich trotzdem ein landschaftliche tolles Erlebnis. Schön ist es hier auf alle Fälle! Dies soll niemanden davor abschrecken, diesen Abschnitt zu gehen! Der Gran Paradiso Nationalpark ist ein sehr schönes Wandergebiet mit einigen Seen, von denen man auf dem GTA allerdings nicht so viele zu Gesicht bekommt. 


In den letzten beiden Abschnitten habe ich immer vor lauter anderen Highlights vergessen, die Tierwelt zu erwähnen. Höchste Zeit dies nachzuholen. Denn die hat hier auch einiges zu bieten! Ein Blick in die Luft zeigt mir mehrere Male Adler und einen Bussard. Steinbock, Gämsen und ein Murmeltier habe ich hier auch schon zu Gesicht bekommen. Schlangen gibt es natürlich auch. Drei Vipern haben sich vor mir aufgebäumt und angezischt. Die sind schon aggressiver als Kreuzottern Und lassen sich durch Trampeln nicht ganz so schnell vertreiben. Und das absolute Highlight: schon am Anfang auf dem Weg nach Rima sehe ich einen kleinen Bären. Das ist schon extrem selten und ein tolles Erlebnis! Lange habe ich nicht Zeit, ihn zu beobachten. Er ist sehr schreckhaft und schnell durchs Gebüsch verschwunden. 

Herrliche Tour zwischen 4000ern und der Poebene

Was für Etappen! Nirgends ist die Distanz zwischen den 4000ern der Alpen und der Poebene so gering. Das sorgt bei dem tollen Wetter, das ich nun wieder habe, für grandiose Fernblicke. Mehrere Tage wandere ich so mit tollsten Aussichten. Zum einen auf die Monte Rosa Gruppe, zum anderen aber auch immer in der Ferne den Monviso im Blick und vor mir die Weite der Poebene. Einfach spitze!


Von Alagna geht es zuerst hinein in das Val Vogna. Was für ein Kontrast! War in Alagna noch die Hölle los mit unzähligen Touristen, so ist das Val Vogna ein romantisches einsames Tal, in dem einzelne kleine Weiler mit vier oder fünf schmucken Walserhäusern den Weg säumen. Wie idyllisch! Immer weiter führt der Weg über einsame Pfade hinauf ins Gebirge. Nachdem ich die vier anderen Wanderer, die heute auch diese Etappe des GTA gehen, hinter mir gelassen habe, begegne ich vier Stunden niemandem. Was für eine Ruhe! Leicht ansteigend schlängelt sich der Weg über saftige Weiden und klare Bergseen hinauf auf den ersten Pass des Tages. Hinter mir ragt das Monte Rosa Massiv empor. Leider schon wieder in Wolken. Auch längeres Warten bringt nichts. Naja, ein paar Chancen hab ich ja noch. Kurz vor dem zweiten Pass treffe ich dann tatsächlich einen anderen Wanderer. Eine Französin, die ebenfalls alleine unterwegs ist. Ich spreche zwar kein Französisch und sie konnte nichts anderes, aber trotzdem klappt es irgendwie mit der Verständigung. Gemeinsam gehen wir zum nächsten Pass. Und ein einmaliger Blick in die wilden Berge des Aostatals wird frei. Wir setzen uns und essen zu Mittag. Obwohl sie nur eine sehr streng portionierte Menge an Käse und Brot hat, gibt sie mir etwas ab. Sie ist mit dem Zelt unterwegs und teilt sich ihr Essen sehr streng ein. Ich esse tagsüber so gut wie nichts mehr und habe deshalb außer ein paar Keksen nichts mehr zu bieten. Sie ist von Straßburg, wo sie aufgewachsen ist, bis ans Mittelmeer unterwegs, wo sie jetzt lebt. Allerdings nicht auf dem GTA, sondern der blauen Via Alpina.

Der letzte Pass an diesem Tag gibt einen Blick frei, mit dem ich bei dieser wilden Gebirgswelt nicht gerechnet habe. Vor mir ist nichts mehr. Nur noch ein Tal und dann erstreckt sich die Poebene vor mir. Hinter mir ragt immer noch die Monte Rosa in die Höhe! 


Auch der nächste Tag hat einige Höhepunkte zu bieten. Es soll ein langer Tag werden. Insgesamt 11 Stunden bin ich unterwegs. Ein Abstieg bringt mich hinunter ins Tal. Einige Klöster und Kirchen weisen schon darauf hin, dass der bekannte Pilgerort Oropa nicht mehr weit sein kann. Doch zuerst gilt es noch auf einen aussichtsreichen Wanderweg bis auf die allerletzte Anhöhe vor der Poebene zu wandern. Was für eine Aussicht! Der Himmel ist ungewöhnlich klar und da die Alpen einen Bogen um die Poebene bilden, reicht die Sicht unglaublich weit. In der Ferne ist Mailand zu sehen, daneben die Berge rund um den Lago Maggiore. In die andere Richtung reicht der Blick über den Gran Paradiso Nationalpark bis hin zum Monviso, bis zu dessen Fuß ich noch drei Wochen brauche! 

Nun dauert es nicht mehr lange und die riesige Klosteranlage von Oropa taucht unter uns auf. Mehr als 800.000 Menschen pilgern jedes Jahr dort hin. Meine zweite große Pilgerstätte auf meinem Weg. Natürlich muss man sich die Zeit nehmen, dieses UNESCO Weltkulturerbe zu besichtigen. Leider ist die große Kirche wegen Bauarbeiten gesperrt. Aber die kleine Kapelle mit der schwarzen Madonna ist offen. Und eine Krippenausstellung mit Krippen aus aller Welt kann besichtigt werden. Das ganze Gelände ist sehr beeindruckend und groß. 


Doch hier wird nicht übernachtet. Ich und ein Ehepaar, das mit mir auf dem GTA unterwegs ist, haben beschlossen, die Nacht auf der kleinen Capanna Renata fast auf dem Gipfel des Monte Camino zu verbringen. Eine Seilbahn bringt und 500m hinauf. Der nostalgische Korblift ist leider seit letztem Jahr geschlossen und so steigen wir weitere 500 hm zu Fuß hinauf. Die Hütte ist sehr gemütlich und hat gerade einmal 8 Schlafplätze. Wir bleiben die einzigen Übernachtungsgäste. Gleich nach der Ankunft muss natürlich noch der fünfminütige Aufstieg zum Gipfel sein! Wieder ein absolut beeindruckender Blick! Die Monte Rosa ist immer noch in Wolken. Doch es werden von Tag zu Tag weniger. Die Sicht geht nun auch bis zum Matterhorn und dem Mont Blanc. Einfach toll! Im Süden können wir den Monviso sehen und im Nordosten die Berninagruppe. Eine Wanderstrecke, für die ich etwa 1 1/2 Monate brauche. Wahnsinn!

Abends kocht der Hüttenwirt ein Abendessen, das sich sehen lässt. Was er mit seinen bescheidenen Mitteln zaubern kann ist beachtlich! Alles muss hoch getragen werden und Trinkwasser gibt es hier oben auch nicht. 


Pünktlich um 5 Uhr klingelt der Wecker. Einen Sonnenaufgang bei so gutem Wetter mit einem Aufstieg zum Gipfel von nur 5 Minuten darf man sich bestimmt nicht entgehen lassen! Und wie toll es ist. Um 5 Uhr ist es noch stockfinster und die Lichter in der Poebene bilden ein tolles Schauspiel! Mit dem immer röter werdenden Himmel wird das Lichtermeer im Tal immer blasser und die Berge immer deutlicher. Ein toller Sonnenaufgang! Die Monte Rosa ist immer noch in Wolken. Doch es werden von mal zu mal weniger. 


Den Aufstieg vom Tag zuvor muss ich erst einmal wieder runter, bevor ich wieder auf dem GTA bin. Die anderen beiden fahren wieder nach Hause. Der folgende Weg ist sehr einsam und wieder begegne ich stundenlang niemandem. Und dann, auf einer Anhöhe, ist sie vor mir. Die Monte Rosa Gruppe und dieses Mal ohne eine einzige Wolke! Toll. Die ganze Zeit habe ich den Gran Paradiso Nationalpark im Auge. Wild und schroff! Diesen werde ich als nächstes durchwandern. 


Die Unterkünfte auf dem GTA sind meistens sehr einfach. Entweder Hütten, Posto Tappas, einfache Wanderunterkünfte im Tal, oder Agriturismen, Bauernhöfe, die Wanderern Betten zur Verfügung stellen. Ich bin diese Nacht in einem Agriturismo zusammen mit einem französischem Ehepaar. Und dann erleben wir ein Abendessen, das mir wahrscheinlich noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Das beste auf meiner ganzen Tour! Ich weiß, ich schreibe immer mehr über das Essen, aber das ist auch was ganz besonderes hier! Die beiden Frauen, die den ganzen Tag mit der Landwirtschaft zu tun haben, stellen sich abends in die Küche, um über drei Stunden für drei hungrige Wanderer zu kochen! Insgesamt 12 verschiedene Speisen werden nacheinander aufgetischt:

Bruschetta mit Olivenöl und Rosmarin, zwei verschiedene Käsesorten, Esskastanien mit Butter, selbstgemachtes Maisbrot, Tomaten mit selbstgemachtem Petersilienpesto, Suppe, Pasta mit Kürbis, Salat, Fleisch Omelette Kartoffeln und Auberginen, Käse, Apfelstrudel, Panna Cotta!

Wenn man nur vorher wüsste, was noch alles kommt! Alles wird in riesigen Mengen aufgetischt, dass mindestens doppelt so viele satt geworden wären! Und so günstig! Für dieses Geld bin ich in den Ostalpen oft nicht einmal richtig satt geworden!


Der nächste Tag beginnt mit einem Abstieg nach Quincinetto und damit zum tiefsten Punkt des GTA außerhalb des Meeres. Eine Hitze empfängt mich dort, die den Aufstieg auf der anderen Seite des Tals umso anstrengender gestaltet. 

Mittlerweile sind wieder acht neue Wanderer auf dem GTA unterwegs. Das ist das schöne hier! Es ist immer noch jemand unterwegs, aber es sind bis viele Leute! 

Auf alten Walserwegen durch den Naturpark Alta Valsesia

Nun bin ich endlich auf dem GTA! Ich habe nun einen Fernwanderweg, nach dem ich mich richten kann. Das tägliche, teilweise stundenlange Grübeln über der Karte und das Überlegen, was als nächste Etappe schön wäre, fällt erst einmal weg. Auch das Unterkunftsproblem gibt es hier nicht. Am GTA liegen sehr viele Unterkünfte, viel mehr als der kleine Haufen von GTA-Wanderern braucht. Ich freue mich richtig, dass auch andere Wanderer unterwegs sind, aber überfüllt ist der Weg keinesfalls. In der vollsten Unterkunft waren wir immerhin zu zwölft. 


Nach einem hoffentlich letztem sehr langen Straßenhatscher erreiche ich mit dem Ort Forno das Gebiet der Walser. Das Leben und der Trubel im Tal scheint unglaublich weit weg. Die Ruhe der Berge hat mich wieder. Weiter folge ich dem Wanderweg bis nach Campello Monti. Viele kleine Ortschaften liegen dazwischen. Alle sehr alt, verwinkelt und meistens auch verlassen. Auch in Campello Monti lebt kein Mensch mehr das ganze Jahr lang. Nur noch im Sommer, wenn Touristen kommen und Almen bewirtschaftet werden. 


Mit diesem Ort erreiche ich den GTA. GTA steht für Grande Transversata delle Alpi. Der GTA wurde nach dem französischen Vorbild des GR5 ins Leben gerufen. Dieser Weg führt durch die gesammten französischen Alpen. Ein Ziel war es, die Landflucht der Bauern und der dort lebenden Menschen zu stoppen und ihnen durch den Wandertourismus eine neue Lebensgrundlage zu schaffen. Damit sollten die alten Dörfer und deren Kultur gewahrt werden. Dieser Plan hat tatsächlich gut funktioniert und einige Franzosen wandern seither auf dem GR5 und tragen dazu bei, dass immer noch einige Menschen in verlassenen Tälern überleben können. 

Auch auf der italienischen Seite war die fortschreitende Entvölkerung der Alpentäler deutlich zu spüren. Dadurch entstand die Idee, einen Wanderweg durch die piemontesischen Westalpen durch die 'vergessenen' Alpentäler zu erschließen. Die meisten Wanderwege existierten bereits. Unterkünfte wurden sehr wenige neu gebaut. Meistens übernachtet man in kleinen abgelegenen Alpendörfern. Doch ein Problem gab es: im Gegensatz zu den Franzosen sind die Italiener kein Wandervolk! So war der Erfolg zu Beginn doch sehr gering. Mit der Zeit machten sich immer mehr Deutsche auf den Weg, den GTA zu gehen. Auch heute sind so gut wie nur deutschsprachige Wanderer (aus Deutschland, Österreich und der Schweiz) unterwegs. Mittlerweile führt der GTA vom Griespass in der Schweiz bis ans Mittelmeer und zählt 1.000 km und 65.000 Höhenmeter.


Da der Weg nicht überlaufen ist und es viel mehr Unterkünfte gibt, als eigentlich erforderlich, herrscht auch ein reger Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Wirten. 2014 sei ihre Hütte zwei Tage vor Saisonbeginn abgebrannt, erzählt die Wirtin der Alpe Baranca. Wahrscheinlich Brandstiftung! Sie hat den großen Vorteil in den Wanderführern als offizielles Etappenziel aufgeführt zu werden und hat deshalb normalerweise viele Gäste.

Allesamt geben die Menschen sich große Mühe, mit ihren teilweise nur einfachen Mitteln und ihrer unglaublichen Freundlichkeit, die Wanderer auf ihrem Weg zu verwöhnen! Vor allem das Essen ist einsame Spitze. Meist einfache Älplerkost, aber möglichst alles aus dem eigenen Garten, Käse und Wurst aus eigener Herstellung oder von Bauern aus der Region und vor allem mit sehr viel Liebe gekocht. So hatte ich einmal 6 Vorspeisen und drei weitere Gänge folgten. Ein anderes mal 5 sehr köstliche Gänge mit Saletbuffet, Ministrone, Tagliatelle mit Pilzen, selbstgemachter Kartoffelbrei mit Fleisch oder Gemüsebratling und Karamellcreme. Verhungern wird man hier bestimmt nicht!


Dieser Weg lohnt sich aber nicht nur wegen dem köstlichen Essen. Man lernt auch das traditionelle, aber auch sehr harte Leben der Menschen in diesem Gebiet kennen. Auf einer Etappe sehe ich einen Bauern, der auf der Alm händisch seine Kühe melkt, die Milch in großen Eimern zu seinem kleinen Steinhaus trägt und dort seinen Käse herstellt. Das ist alles noch Handarbeit!


Die kleinen Walser Dörfer sind meist sehr schön hergerichtet und es ist ein Genuss, durch die schmalen Gassen zu streifen, die schönen Häuser mit dem vielen bunten Blumen auf dem Balkon und im Garten zu betrachten und in die prunkvollen Kirchen zu schauen. 

Einkaufsmöglichkeiten gibt es meistens nur beim Bauern. Stimmt nicht ganz: in dem einen Ort rollt pünktlich um 16 Uhr hupend ein kleiner Lastwagen, wie ein Marktstand, auf den Parkplatz vor dem Dorf. Plötzlich ist das halbe Dorf auf den Beinen. Dieser kleine, mobile Laden hat von Lebensmitteln bis Waschmitteln alles, was man braucht. Eine kleine Attraktion für uns Wanderer! 


Auf den saftigen grünen Wiesen weiden auch noch andere Tiere als Kühe. Neben Pferden verlangen vor allem die Schafsherden alle Aufmerksamkeit des Wanderers. Und das nicht wegen den Schafen, sondern viel mehr wegen den Herdenhunden. Hirten sind meistens keine vor Ort. Die Hunde sind dazu da, um die Tiere vor Wölfen und Bären zu schützen. Und, dass sie ihren Job mit sehr viel Ehrgeiz und pflichtbewusst erledigen, merkt auch der Wanderer sehr schnell. Schon aus der Ferne wird man laut kläffend begrüßt. Wagt man sich zu nah heran, rennen die Hunde einem entgegen. Steht die Herde gerade mitten auf dem Wanderweg ist das durchaus eine sehr unangenehme Sache! Deshalb bin ich froh, dass ich die beiden Male, die ich an einer Herde vorbei oder durch sie hindurch musste, mich anderen Wanderern anschließen konnte.


Der Parco Naturale delle Alta Valsesia ist ein Gebiet, das durch sehr enge Täler und steile Berge geprägt ist. Es ist eine sehr wasserreiche Gegend, die deshalb sehr grün ist. Einige tolle Gumpen laden zum baden oder die Füße ins Wasser hängen ein. Ein Kontrast zu den teilweise sehr trockenen und verdorrten Landschaften auf meiner Reise. Der Weg führt mich die letzten Tage immer näher an das Monte Rosa Massiv heran, bis ich gestern Luftlinie nur noch 7 km entfernt bin. Leider lassen die Wolken nur einen kurzen Blick auf die höchsten Gipfel zu. Trotzdem ein atemberaubender Blick!


Gestern war in dieser Gegend ein Berglauf. Und was für einer! Schon frühmorgens kommen mir die Läufer entgegen, die eine Strecke, für die ich 5 Stunden brauche, gerade einmal 50 min benötigen! Insgesamt geht der Lauf über 42 km und hat 3.600m jeweils im Aufstieg und im Abstieg. Was für eine wahnsinns Leistung! Ich habe dafür 3 1/2 Tage gebraucht! 

Die etwas andere Art des Weitwanderns

Nach dem Comer See folgen die beiden anderen großen Seen: der Luganer See und der Lago Maggiore. Ich tauche in eine Gegend ein, die im Gegensatz zum Comer See, vollkommen von Urlaubern erobert ist. Kein Wunder, es ist Mitte Juli! Damit verbunden ist natürlich wieder ein Unterkunftsproblem. Und was für eins! Das wird mir aber erst im Laufe der letzten Woche so richtig klar. 


Das nächste Ziel nach Menaggio soll Lugano sein. Es ist ein weiter Weg, aber gerade noch so an einem Tag zu schaffen. Die Schweiz möchte ich so gut wie möglich vermeiden, weil sie mir einfach zu teuer ist. Doch ganz geht das natürlich nicht.

Zuerst führt mich der Weg relativ flach zum Luganer See. Dann folgt ein Wanderweg am Hang entlang bis hinauf auf den Monte Bre. Leider ziehen im Laufe des Mittags einige Wolken auf und die Sicht ist nicht so gut wie erhofft. Über 1500 Stufen führen hinunter in die Stadt. Groß ist sie und ich verspüre die große Lust, gleich wieder aus ihr rauszuwandern. Mir sind es hier einfach zu viele Leute, zu viel Verkehr und zu hohe Häuser. Das bin ich einfach nicht mehr gewohnt! Ich muss einmal durch die ganze Stadt, um zu meinem Hostel zu gelangen. Es ist ein schöner Ort, an dem nichts mehr an eine große Stadt erinnert. Unter Palmen liegt die Villa und nebenan ist ein 20 m langer Swimmingpool. Hier lässt es sich gut aushalten! Ein weiteres Highlight für mich ist bestimmt die Küche. Ein sehr kleiner Raum mit 4 Herdplatten. Für über 30 Gäste natürlich viel zu klein. Dicht gedrängt wird in der Küche gekocht. Da ich wegen einer Nacht keine Schweizer Franken getauscht habe, kann ich nicht einkaufen gehen. Eine Kiste mit Lebensmitteln, die andere Gäste übrig hatten und nette Leute, die mir Salat und Käse schenkten, bescheren mir ein leckeres Abendessen. Wieder genieße ich die Atmosphäre in einem Hostel und die Tatsache, dass man immer Leute für einen netten Abend trifft. 


Der weitere Weg führt mich über den Monte Lema. Vom Gipfel habe ich eine tolle Sicht. Heute ist die Luft ziemlich klar. Ein Blick zurück zeigt mir noch einmal die östlichsten 4000er der Alpen, die Berninagruppe. Ein Blick nach Westen zeigt mir das Monte Rosa Massiv und dahinter spitzt sogar das Matterhorn hervor. Was für eine Aussicht! Und das verrückteste ist: neben den 4000ern sehe ich im Süden die Poebene und Mailand. Da sind die Alpen also zu Ende! 


Im Hostel in Lugano dämmert mir ein Problem. Rund um den Lago Maggiore und in einem großen Umkreis drum herum scheint ausnahmslos alles ausgebucht zu sein. Naja, für sehr viel Geld würde man bestimmt noch was bekommen. Für meinen Geldbeutel gibt es nur eine einzige Möglichkeit: das Hostel in Verbania. Wie ich später erfahre sind rund um Verbania sogar alle Campingplätze bis auf den allerletzten Stellplatz besetzt. Auch weiter bis zum GTA gibt es nichts mehr. Leider auch keine Hütten! Ein alternativer Plan muss her.


So wandere ich vom Monte Lema erst einmal hinunter zu Lago Maggiore. Im Gegensatz zu der schweizer Seite ist hier kein Mensch unterwegs. Niemand! Der Pfad ist nicht besonders ausgetreten, dafür aber sehr gut markiert und nicht zu verfehlen. Am See angekommen, fahre ich mit dem Schiff nach Verbania. Hier werde ich einige Nächte bleiben. Die nächsten zwei Etappen bis zum GTA möchte ich von hier aus machen. Da ich eigentlich einen Freund aus Karlsruhe treffen wollte und schon nicht stornierbar gebucht hatte, und früher als gedacht hier bin, werde ich wohl vier Nächte bleiben. Leider ist der Freund aus Karlsruhe krank geworden und kann nicht kommen. So plane ich zwei Wandertage und einen Tag am See. 


Das Hostel ist wieder eine schöne Villa etwas oberhalb vom See mit großem Park mit Palmen und Swimmingpool. Kein schlechter Ort für ein paar Nächte! Mittlerweile bin ich es gewohnt in großen Schlafsälen zu schlafen und bekomme Lärm kaum noch mit. Ein Beweis zeigt mal wieder eine lustige Geschichte am nächsten Tag:

Eine Frau setzt sich zu mir an den Frühstückstisch. Sie ist völlig fertig! Sie meint, sie hätte heute furchtbar geschlafen. Sie sei gestern Abend spät angekommen und in einen fast vollen Schlafsaal gesteckt worden. Um Mitternacht wollte sie noch einen Kaffee auf ihrem Campingkocher mitten im Zimmer kochen. Da schnauzt sie plötzlich jemand laut im Zimmer an. Das kann ich auch gut nachvollziehen. Man muss wirklich nicht einen Campingkocher im Zimmer aufstellen und schon gar nicht um diese Zeit. Darauf hin sei wohl eine hitzige Diskussionen entstanden, die wohl alle wach gemacht hätte. Sie zieht ins Bad um und als sie zurück kommt, hält sie die ganze Nacht ein furchtbares Geschnarche vom Bett neben ihr vom Schlafen ab. Gerade von der Frau, die sich lauthals über den Camingkocher beschwert hat.

Ich meine daraufhin, dass es bei mir im Schlafsaal schön ruhig gewesen sei und ich super geschlafen habe. Als ich meine, dass heute fast alle abgereist seien, beschließt sie, zu mir umzuziehen. Mit großem Gelächter stellen wir fest, dass wir im selben Raum geschlafen haben. Nur ich hab alles verschlafen und nicht mal die Aktion mit dem Campingkocher mitbekommen! 

Dann erzählt sie mir ihre Geschichte. Sie wohnt in der Nähe von München und ist Straßenmusikantin. Immer, wenn ihr das Geld droht auszugehen, geht sie mehrere Wochen bis Monate auf Reisen um in Urlaubsregionen mit Straßenmusik Geld zu verdienen. Ein spannendes Leben, aber auf Dauer wäre das nichts für mich. Sie ist mittlerweile über 50 und liebt ihr Leben! Nur, dass sie ihre fünf Katzen nicht mitnehmen kann, findet sie schade.


Nun aber wieder zum Wandern. Was nun folgen soll, ist zwar nicht wirklich Weitwandern, aber es gibt keine wirkliche Alternative. Zu gehen und mit dem Bus zurück zu fahren, um am nächsten Tag wieder hin zu fahren, um weiter zu gehen, hat eher den Tageswanderungscharakter, für mich ist es aber gerade die beste Variante zum wirklichen Weitwandern. Die Etappe nach Omegna ist weniger spannend und geht fast immer eben am See und später am Fluss entlang. Die zweite geplante Etappe von Omegna nach Forno kann ich nicht wie geplant durchführen. Denn der Bus von Forno zurück fährt nur morgens um 6:45 und später nur samstags und donnerstags. Deshalb werde ich dann morgen von Omegna nach Form und noch weiter bis zum GTA gehen, ohne zurück zu müssen. Auch in Ordnung! So bleiben mir zwei freie Tage am Lago Maggiore. An einem Tag schaue ich mir Verbania an. Am anderen fahre ich nach Cannobio, einer sehr schönen kleinen Stadt mit verwinkelten Gassen, einer Promenade und einem Strand. Mittlerweile machen mir die vielen Urlauber nichts mehr aus. Trotzdem freue ich mich auf morgen und die Rückkehr in die Einsamkeit der Berge. 


Die Zeit an den drei Seen war sehr schön. Mein absoluter Favorit: der Comer See. Er ist deutlich schmaler als der Lago Maggiore, die Berge drum rum sind höher und die Küste deutlich steiler. Die Ortschaften sind hier malerisch an die Hänge gebaut worden. Und ein großer Pluspunkt: die Orte sind kleiner und die Touristen deutlich weniger. Hier gibt es keine großen Übernachtungsprobleme! 

Eine Woche bergfrei

Zuerst einmal eine kleine Info an alle verwunderten Leser: Ich schreibe immer noch unter der ersten Rubrik 'Von Wien in die Dolomiten', weil ich es mit meinem Smartphone einfach nicht hinbekomme, meine Artikel woanders zu veröffentlichen. Die Möglichkeiten, die diese App liefert, sind doch sehr beschränkt. Am Computer ist einiges mehr möglich! 

Ich bin natürlich lange nicht mehr in den Dolomiten, ja sogar in einer Woche schon auf dem GTA und somit in den Westalpen. Das Löschen der beiden Abschnitte ' Von den Dolomiten in die Westalpen' und 'Von den Westalpen ans Mittelmeer' und das Umbenennen des ersten Abschnitts hat wohl nur auf meinem Smartphone gut funktioniert. Davon auf jeden Fall nicht durcheinander bringen lassen! 


So nun aber zum interessanteren Teil: 

Die weitere Tourenplanung gestaltet sich nun etwas schwierig. Im Norden des Tals Valtellina gibt es zwar einen Fernwanderweg, dieser ist allerdings mit Gletscherquerungen zu anspruchsvoll für mich. Im Süden gibt es keine Hütten, die geschickt verbunden werden können. Also geht es erst einmal zwei Tage durch das Tal Valtellina. Auch keine so schlechte Wahl, wie sich herausstellt. 

Der Sentiero Valtellina ist ein Wander-, viel mehr eher ein Radweg, der Bormio mit dem Comer See verbindet. Er ist fast durchgehend geteert. Komischerweise macht mir das nicht mehr so viel aus! Nur die Blicke nach oben, auf schroffe Berge, Schneefelder und der Gedanke, was für tolle Blicke man dort oben haben muss, erwecken Sehnsucht. 


Wie ich hier so durch das Tal marschiere, merke ich immer mehr, dass ich eigentlich viel zu schnell unterwegs bin. Dieses Gefühl habe ich schon seit ein paar Tagen und es verstärkt sich immer mehr. Ich renne ja fast durch Täler und Höhenwege. So viele schöne Ecken muss ich links liegen lassen. Natürlich lerne ich auch auf meinem Weg tolle Plätze kennen! Doch je länger ich gehe, desto mehr lerne ich kennen und desto mehr Wünsche kommen auf, was für tolle Sachen ich hier noch machen könnte. Es ist verrückt! Eigentlich erfülle ich mir hier einen tollen Traum! Und dann gehe ich hier entlang und denke nur darüber nach, wie es wohl wäre, mit dem Berninaexpress zu fahren, auf diesem oder jenem Gipfel zu stehen, die Burgen und Wasserfälle zu besichtigen, usw... Natürlich könnte ich auch hier bleiben und zwei, drei Wochen die Gegend erkunden und all die schönen Plätze besuchen, an denen ich nur vorbei gehe. Aber ist das mein Ziel? Nein! Ich will doch bis ans Mittelmeer kommen! Natürlich kann ich den ein oder anderen Abstecher machen. Aber ich sollte mich nicht komplett davon ablenken lassen und das Ziel aus den Augen verlieren! Ich muss das genießen, was ich hier mache! Nicht immer daran denken, was ich sonst noch machen könnte. Irgendwann wieder kommen, kann ich ja auf jeden Fall!


Der Sentiero Valtellina ist ein sehr gut beschildeter und ausgebauter Weg. Alle zwei bis drei Kilometer ist eine Raststation mit Bänken, Grill und Trinkwasser eingerichtet. Teilweise ist sie sogar mit einem kleinen Trimmdichpfad oder Spielplatz ausgestattet. Jeden Kilometer ist ein Schild am Wegesrand angebracht, das angibt, wie viele Kilometer es noch bis zum Comer See sind. Als Radfahrer mag das gut sein. Doch wandert man in der Mittagshitze hier entlang, demonstriert das nur, wie langsam man vorankommt. Der Menge an Schweiß und Anstrengung nach zu urteilen, kommt es mir vor, als müsste ich mindestens doppelt so schnell unterwegs sein.


Einen großen Unterschied zum Vinschgau gibt es hier. Weitaus weniger Touristen sind unterwegs, freie Unterkünfte gibt es genug und sogar Hotelzimmer bekomme ich für 25 Euro pro Nacht. Wobei das Frühstück hier natürlich nicht besonders reichhaltig ist. Wie ich ein gescheites Frühstück vermisse...

Meine Unterkünfte entlang des Valtellinas liegen immer etwa 200m über dem Tal mit fantastischen Ausblicken. Jeden Tag wird es gegen Mittag unerträglich heiß. Spätestens am Abend gewittert es. Ein Gewitter war besonders beeindruckend. Erst noch am Berg, war es blitzschnell über mir. Mindestens alle 20 Sekunden ein Blitz und fast gleichzeitig Donner. Dazu heftigster Regen und Hagel. Ein sehr beeindruckendes Schauspiel, sitzt man im Drockenen! 


Nach zwei Tagen im Valtellina war eigentlich der Plan, wieder in die Berge zurückzukehren. Doch mittlerweile ist das Wetter sehr instabil. Den ganzen Tag sind Gewitter angesagt. Also weiter auf dem Sentiero Valtellina. 35 km noch bis zum Comer See. Ich finde im Internet ein nettes Hostel. Hochmotiviert starte ich früh mit dem langen Marsch. Alle zehn Minuten ein Schild: noch 35 km, noch 34 km, noch 33 km,... Langsam geht es vorwärts. Immer gerade aus! Nach drei Stunden erreiche ich Kilometer Nummer 15. 20 habe ich also schon geschafft! Der Weg führt mich weiter über eine Brücke. Das Tal wird immer schmaler. Eine Kurve und ich stehe an einer Straße. Einer Hauptstraße! Die Autos rasen mit über 100 kmh an mir vorbei. Das Schild des Sentiero Valtellina zeigt in Richtung Straße! Ich schaue nach. Nach fast 70 km schönen wanderfreundlichen Wegen soll es jetzt wirklich auf die Straße gehen? Tatsächlich! Und das für etwa vier Kilometer! Nicht mit mir! Italiener haben ja bekanntlich nicht den besten Fahrstil! Ich drehe um! Wieder zurück. Plötzlich fühlt sich jeder Kilometer doppelt so lang an wie vorher! Nach vier Kilometer bin ich am Bahnhof. Ich überlege: wie weit soll ich fahren? Bis der Weg wieder für Fußgänger geeignet ist, oder bis zum See? Die hohe  Motivation von heute morgen ist mit dem Umdrehen schlagartig verflogen. Mit Eintreffen des Zuges beantwortet sich die Frage von ganz allein. Ein heftiges Gewitter geht schon um 11:30 Uhr morgens los. Gut, dass ich nicht in den Bergen bin! Ich steige direkt am See aus dem Zug aus. Schnell in den nächsten Laden zum unterstellen! 


Die nächsten Stunden verbringe ich mit am See entlang laufen und schwimmen. Mittlerweile hat es durch das Gewitter etwas abgekühlt! Es ist sehr angenehm! Diese schwüle Hitze ist schon sehr anstrengend! 


Am nächsten Tag möchte ich bis nach Menaggio am See entlang wandern. Also mache ich mich wieder auf dem Weg. Doch was ist das! Schon wieder soll es Kilometer lang an der Straße entlang gehen! Die Straße ist extrem schmal und die Autofahrer sind wieder sehr rücksichtslos! Mittlerweile ärgere ich mich darüber, was meine App von Kompass mir alles als Wanderweg verkauft! Und dabei sind sie doch eigentlich Spezialisten für Wanderkarten! Ok, dann mache ich eben heute meinen Ruhetag und gehe morgen wandern. Mit dem Schiff geht es gemütlich über den See. Es ist schon sehr schön hier! Die Gipfel, die über 2000m über dem See empor ragen, die kleinen bunten Städtchen und Dörfer die an den steilen Hängen gebaut wurden und vor allem ist es nicht überlaufen! Natürlich sind Touristen da, schließlich hat die Hauptsaison begonnen. Aber es ist noch sehr angenehm! 


Im Hostel in Menaggio bin ich plötzlich unter lauter Backpackern. Die kommen aus der ganzen Welt! Allein in meinem Zimmer sind Frauen aus Großbrittanien, Frankreich, Florida, Australien und Indien! Das ist sehr spannend. Vor allem bin ich endlich mal wieder unter Leuten, die auch englisch und nicht nur italienisch sprechen. Ich fühle mich hier sofort sehr wohl! Die letzten Tage waren in dieser Hinsicht schon etwas einsam. Über jede Nachricht, sei es eine Email oder Whatsapp habe ich mich total gefreut. So habe ich meine Erlebnisse wenigstens ein bisschen teilen können. Hier ist es ganz anders. Ich habe immer jemanden zum reden, Tischtennis spielen oder schwimmen gehen.


Der nächste Tag war eigentlich als Badetag eingeplant. Doch den habe ich ja schon am Tag zuvor gemacht. Nach so vielen Tagen im Tal, ohne in die Berge zu können, lockt mich geradezu ein Gipfel. Bergfrei ist zwischendurch zwar ganz angenehm, aber die Sehnsucht nach Gipfeln, schroffen Felsen und schönen Blicken steigt! Den Monte Grona, 1500m über dem See, möchte ich besteigen. Das erste kurze Stück nehme ich wieder den Bus. Auf der Straße laufen ist tabu. Dadurch wird die Tagestour auch nicht zu lang. Von der Bushaltestelle sind 3 1/4 Stunden zum Gipfel angeschrieben. Ich steige aus. Mit mir wollen noch sechs andere den Berg hinauf. Schon nach kurzer Zeit werde ich von allen überholt. Laut keuchend schnaufen sie an mir vorbei. Ich dagegen gehe gleichmäßig und langsamer, langsam wäre falsch, schließlich bin ich nach 1 3/4 h oben. Nicht viel später überhole ich wieder einen nach dem anderen, wie sie ständig stehen bleiben müssen, um zu verschnaufen. 1000 hm bei über 34 Grad darf man eben nicht unterschätzen! 

Endlich bin ich wieder auf schmalen Pfaden und Felsen unterwegs! Gut fühlt sich das an! Das hat mir die ganzen letzten Tage dann doch sehr gefehlt. Leider ist der Gipfel wolkenverhangen und die Sicht nach unten wird nur selten frei. Aber dann für kurze Zeit ist der Blick auf den Comer See oder den Luganer See frei. Nur für einen kurzen Augenblick, aber immerhin! Fast eine Stunde bleibe ich hier sitzen. Eine Mutter mit zwei Kindern aus Braunschweig ist ebenfalls hier. Lange sitzen wir hier, unterhalten uns und warten darauf, dass die Wolken aufreißen. Beim Abstieg begegne ich dann meinen Mitaufsteigern aus dem Bus, wie sie mühsam die letzten Meter empor steigen. 

An der Bushaltestelle halten plötzlich die Braunschweiger an und nehmen mich mit, damit ich nicht 1 1/2 Stunden auf den Bus warten muss. Sehr lieb von ihnen! Und dann, ach du Schreck, fällt mir nach 15 min auf, wir waren schon unten in Menaggio, dass ich meine Stöcke vergessen habe! Die lehnen gerade mutterseelenallein an der Bushaltestelle. Was nun? 'Kein Problem!', sagt die Mutter am Steuer, dreht um und fährt zurück! Das ist wirklich total nett von ihr gewesen! Die Zeit im Auto vergeht wie im Flug! Die beiden Teenager und die Mutter sind wirklich super Gesprächspartner! 


Um Geld zu sparen und weil es im Tal genug Geschäfte gibt, verpflege ich mich im Tal selbst. Doch ich lasse mich zu sehr von den ungesunden Lebensmitteln verleiten. Vor allem das viele Weißbrot und die Tatsache, dass ich gechlortes Wasser nicht ausstehen kann und deshalb viel zu wenig trinke, machen mir nun gehörig zu schaffen! Verdauungsprobleme, wie ich sie noch nie hatte, Bauchschmerzen und allgemeine Abgeschlagenheit verlängern meinen Aufenthalt am Comer See. Ist auch ein schöner Ort, um länger zu bleiben! In Zukunft muss ich dringend darauf achten, gesünder zu essen und vor allem genug zu trinken. Das brauch ich nicht noch einmal!

Plötzlich ist alles anders

Was ist das besondere am Wandern? An der Langsamkeit der Fortbewegung? Veränderungen passieren langsam, aber meistens kontinuierlich. Man spürt eine Entwicklung der Landschaft, der Sprache und der Sitten und der Bräuche. Doch das geschieht langsam. Dem Wanderer wird Zeit gegeben, sich umzustellen und anzupassen. Ganz anders, als wenn man mit dem Auto, dem Zug oder dem Flugzeug unterwegs ist. Hier steigt man in der einen Welt ein und kommt in wenigen Stunden ganz woanders raus. Plötzlich ist man in einem anderen Land, in einer anderen Landschaft, einem anderen Klima, spricht eine andere Sprache und auch das Essen ändert sich. Das ist ja auch der Reiz am Urlaub machen. Man möchte Neues kennen lernen und erleben.


Ich liebe aber diese Langsamkeit, die mir die Möglichkeit gibt, mir Zeit zu lassen und mich auf Neues einlassen zu können. Dass man beim Wandern aber auch mit sehr plötzlichen und deutlich merkbaren Veränderungen rechnen muss, zeigt mir die Überschreitung des Stilfser Jochs. Ich überschreite hier eine Grenze in vielerlei Hinsicht. Zum einen natürlich die Grenze zwischen zwei Bundesländer Italiens. Merkt man in Südtirol eigentlich kaum, dass man in Italien ist, fühlt man sich in der Lombardei schon mitten drin. 


In meinem Zimmer in einer kleinen Pension in Latsch im Vinschgau grüble ich über meine weitere Route. Alle bezahlbaren Unterkünfte, die ich in einem Tag zu Fuß in Richtung Westen erreichen könnte, scheinen ausgebucht zu sein. Überall, wo ich anrufe, ist ausgebucht. Ich schaue auf die Wanderkarte. Es gibt zwar Hütten, die ich erreichen könnte. Doch das sind alles Sackgassen, möchte man nicht über Gletscher gehen. Ein Tag in der Hitze auf Radwegen im Tal ist mir ein viel zu teures Hotel nicht wert! Ein anderer Plan muss her! Bis zum Stilfser Joch komme ich an einem Tag unmöglich. 14 Stunden Gehzeit ist mir dann doch zu viel. Zudem meint die Sonne es mal wieder zu gut und brennt unermüdlich von Himmel. Ok, dann muss halt wieder ein Bus her. Nach den vielen Absagen im Tal rufe ich vorsichtshalber im Rifugio Garibaldi am Stilfser Joch an. Eine Frau nimmt ab und meldet sich auf Italienisch. Wie Italienisch! Die letzte Stunde hab ich doch durchgehend auf Deutsch telefoniert! Vorsichtig frage ich, ob sie Deutsch oder Englisch spricht. Nein! Dann müssen meine Brocken Italienisch reichen. Sie spricht schnell. Nimmt keine Rücksicht, dass ich nichts, rein gar nichts, verstehe. Nach drei Minuten schnellem Italienisch und meinen gestammelten Versuchen, nach einem 'letto' 'per una notte' für 'domani' zu fragen, geben wir auf. Und dann kommen sie: vier ihrerseits gestammelte Worte, die ich verstehen kann: 'san call you later!' Ihr Sohn, der offensichtlich etwas 'inglese' sprechen kann, ruft mich später zurück. Eine Stunde später klingelt mein Handy und der freundliche Sohn meldet sich. Endlich, er versteht mich und ich ihn. Gut kann er nicht englisch, aber für meine Fragen reicht es aus. Ja, für mich sei auf jeden Fall noch Platz! Sehr gut!


Soweit wie nötig fahre ich mit dem Bus, um dann über 2000 hm zum Stilfser Joch aufzusteigen. Sobald ich die Baumgrenze erreicht habe, zieht mich der gigantische Gletscher des Ortlers in den Bann! Was für ein Panorama. Der Goldseesteig bringt den Wanderer abseits des Getummels und Lärms der Passstraße hinauf zur Dreisprachenspitze. Immer im Blick: der Ortler. Dass man auf so einem Panoramaweg nicht alleine unterwegs ist, versteht sich. Hunderte Wanderer sind unterwegs. Überall wird Deutsch gesprochen. Und dann erreiche ich auf 2850m die Dreisprachenspitze. Bis Südtirol 1919 an Italien fiel, war hier das Dreiländereck Österreich- Italien- Schweiz. Jetzt treffen sich hier drei Sprachen: Deutsch (Südtiroler Dialekt), italienisch (lombardischer Dialekt) und die rätoromanische Sprache (unterengadiner Dialekt). 

Sie Garibaldihütte steht schon in der Lombardei, wenn auch nur drei Schritte von der Schweiz und Südtirol entfernt. Aber schwupps ist alles nur noch auf italienisch! 

Die kleine Burg sieht gar nicht wie eine Hütte aus und auch von innen ist sie sehr schön und komfortabel eingerichtet. Nicht wie eine typische Hütte! 


Und dann, am nächsten Tag tauche ich ein in eine ganz andere Welt. Urplötzlich ist alles anders. Bin ich hier noch in den Alpen! Ja natürlich! Aber nicht mehr in den Alpen, die ich bis jetzt kenne. War die Vegetation vorher noch üppig, tauche ich in einen trockenen, fast vegetationslosen weiten Kessel ein. Alles scheint eine Dimension größer und mächtiger und vor allem einsamer. Wanderwege sind typischerweise alte Militärwege. Breit und wandertechnisch wenig spannend. Dafür kann man sich auf das drumrum konzentrieren! Mächtig ragen hier noch weitere Gletscher als der des Ortlers in die Höhe. Urplötzlich taucht man hier in eine andere Landschaft ein. Und das ganz alleine! Wanderer sollte ich drei Tage lang keinen einzigen mehr sehen. Ganz alleine ist allerdings nicht ganz richtig. Ich stehe unter Dauerbeobachtung. Ständiges Pfeifen macht mich darauf aufmerksam, dass unzählige Murmeltiere in der Nähe sein müssen. Etliche bekomme ich auch zu Gesicht!

Und da sind natürlich auch noch die Mountainbiker, die blitzschnell an einem vorbeisausen. An den Hütten weisen Schilder darauf hin, dass Biker herzlich willkommen sind. Kein Wort über Wanderer. Aber die Herzlichkeit der Menschen betrifft bestimmt nicht nur Biker. Auch als Wanderer werde ich sehr freundlich aufgenommen. 


Die Höfe am Wegesrand, die Hütten und die kleinen Dörfer sehen nun ganz anders aus. Alles ist kleiner, einfacher und vor allem älter. Die Häuser bestehen meist aus Stein, haben maximal noch einen ersten Stock und das Dach besteht aus einem verrosteten Wellblech. Einige Gebäude sind heruntergekommen und stehen leer. Hier merkt man, wie die Landflucht schon fortgeschritten ist. Mit Hilfe des Mountainbiketourismus wird versucht, dieser Landflucht entgegen zu wirken. Doch überfüllt ist hier gar nichts. In den Hütten gibt es immer genug Platz und die Mountainbiker sind nicht in Massen unterwegs. 


Nicht durch den Massentourismus geprägt, bekommt man hier einfache Unterkünfte und vor allem traditionelles Essen. Besonders erwähnenswert ist das Rifugio Eita. Nach 27 km Forstweg, erreiche ich eine kleine Ansammlung von Häusern: Eita. Meine Motivation ist im Keller. Wie ich Forstwege mittlerweile verfluche! Wie kommt man auf die Idee bis auf über 2300m Forstwege zu bauen und teilweise zu teeren! Ist eben kein Wandergebiet! Mein Plan weiter zu gehen, gebe ich auf. Noch mal 8 km Teer will ich heute nicht mehr. Ich betrete das einzige einigermaßen gepflegte Haus im Ort. Die meisten anderen Häuser sind heruntergekommen und leer. Innen erwartet mich ein rustikaler, aber mit viel Liebe eingerichteter Raum. Im Radio dudeln irgendwelche italienische Schlager. Zwei Frauen begrüßen mich herzlich. Ich frage nach einem Bett. Wieder nur auf italienisch. Macht nichts, mit Händen und Füßen funktioniert das prima. Ich werde in einen schlichten Raum mit 3 Stockbetten geführt. Alles etwas runtergekommen aber sehr gemütlich. Nach einer kalten Dusche setze ich mich nach draußen. Irgendwie hat diese Häuseransamnlung ihren ganz besonderen Reiz. Auf 1700m umgeben von hohen Bergen liegt sie ganz ruhig da. Ich fühle mich in der Zeit weit zurückversetzt. Ich beobachte alte bucklige Bäuerinnen, wie sie mühsam mit der Sense versuchen, die steilen Hänge zu mähen. Die wenigen Maschinen, die ich sehe, sind allesamt alt und verrostet. Doch das scheint keinen zu stören. Mit einer Ruhe und Zufriedenheit versuchen die wenigen übrig gebliebenen Bauern in der heutigen Zeit zu überleben. Nach einer Weile ist die Terasse von Einheimischen bevölkert, die versuchen, mit einem uralten Handy zu telefonieren. Mit meinem neumodischen Smartphone habe ich keine Chance, Netz zu bekommen. Als ich das Abends versuche, kommt die eine Hüttenwirtin und bietet mir an, von ihrem Festnetz aus zu telefonieren oder ihren privaten Computer zu benutzen. Ich lehne dankend ab. So dringend hab ich es nicht! 


Abends tischen sie mir ein Abendessen auf, mit dem ich nicht gerechnet habe. Unmengen von Pasta, Brot, Salat, Käse, Buttererbsen und vier Stück Kuchen zum Nachtisch. Das erste Mal auf meiner Reise gebe ich mich geschlagen. Diese Massen schaffe ich beim besten Willen nicht! Die beiden Frauen, die die Hütte bewirtschaften, setzen sich zu mir an den Tisch und essen mit. Die Verständigung ist zwar schwierig, aber lachen geht auch ohne Italienisch. Es ist ein lustiger Abend!


Außer mir ist mal wieder eine Schulklasse da. Mein Zimmer liegt genau neben ihren Schlafzimmern. Nach dem Essen führt mich die eine Wirtin in ihren privaten Bereich. Im Schlafzimmer, in dem die beiden schlafen, bleibt sie stehen und bietet mir an, bei ihnen in diesem Vierbettzimmer zu übernachten. Hier sei es viel ruhiger. Ich lehne dankend ab. In diesem sehr verqualmten Zimmer schlafe ich wahrscheinlich noch schlechter.


Nach einem italienischen viel zu zuckerlastigem Frühstück breche ich wieder auf. An Zwieback mit Marmelade oder Nutella und pappsüßen Kuchen zum Frühstück muss ich mich erst mal gewöhnen! Ich steige die gestern geplanten 8km in den nächsten Ort ab. Schon um 9 Uhr ist es heiß. Ich mache mich an den 1500m langen Aufstieg. Nach 5 Min bleibe ich stehen! Der Schweiß tropft. Ich habe keine Lust mehr! Weder auf 1500m Aufstieg, noch darauf, wieder stundenlang alleine irgendwelche Forstwege entlang zu latschen. Ich möchte wieder Menschen um mich haben! Ich hole mein Smartphone raus. Perfekt, ich habe Internet. Ich finde ein nettes Hostel auf Booking.com und buche. Dann drehe ich um. Heute brauche ich keine Höhenmeter mehr zum aufsteigen! Ich will ins Tal. Schmal ist der Mountainbikeweg hinunter und so wie er aussieht kaum befahren.

Ich schlage mich durch hohes Gras hindurch. Ein lautes, aggressives Zischen. Ich bleibe stehen und schaue mich langsam um. Zwei Meter von mir entfernt sonnt sich eine Schlange auf der Mauer. Mindestens 1,5 Meter lang, dick und schwarz. Nicht zu vergleichen mit den dünnen, schlanken und kleinen Kreuzottern, die bis jetzt meinen Weg gekreuzt haben. Ich gehe langsam weiter. Eine Recherche im Internet zeigt mir. Dieses Prachtexemplar von Schlange muss eine Zornnatter gewesen sein. Nicht giftig, aber aggressiv. 


Im ersten Ort angekommen suche ich einen kleinen Tante Emma Laden auf und decke mich mit Lebensmitteln ein. In dem Ort, wo das Hostel ist, gibt es keinen Laden. Viel zu schwer bepackt geht es weiter. Mittlerweile ist es so heiß, dass man sich in der Sonne nicht mal bewegen müsste, um zu schwitzen. Und ich habe nun noch mindestens 3 kg mehr auf dem Rücken: Brot, Pizza, Käse, Obst, Kekse und jede Menge Sprudel. Schon nach ein paar Metern denke ich: Oben in den Bergen wäre es viel angenehmer! Aber immerhin: seit ich in der Lombardei bin, gibt es in jeder Ortschaft Brunnen mit Drinkwasser und auch so in den Bergen am Wegesrand. Das ist schon was tolles und sollte meiner Meinung noch mehr Verbreitung finden! 10 schweißtreibende Kilometer später erreiche ich in der Nähe von Tirano das kleine Dorf Sernio. Schmale verwinkelte Gassen und alte Häuser prägen das Ortsbild. Sehr idyllisch am Hang gelegen ist es eine Oase der Ruhe! Mitten im Ort, gegenüber vom Rathaus liegt das Hostel. Ein großes Steinhaus, sehr schön hergerichtet mit großem Garten. Ich werde freundlich aufgenommen und auch von innen ist es eine sehr schöne Unterkunft. Alles in allem gehört sie bestimmt zu den schönsten bis jetzt! Und als großes Highlight: es gibt eine Waschmaschine! Nach dreißig Minuten in der Sonne habe ich schnell wieder wunderbar duftende trockene Wäsche. Hier möchte ich länger bleiben und buche gleich eine weitere Nacht. Ein Ruhetag in dieser Umgebung kann nur gut tun! 


Heute verbringe ich den Tag in diesem idyllischen Dorf. Ein Spaziergang nach Tirano, das eine wirklich nette kleine Altstadt hat, bringt mich wieder gehörig zum Schwitzen. Ein kleiner Vorgeschmack, was mich morgen erwarten wird. Denn ich werde morgen durch das Tal Valtellina weiterwandern. 

Almwanderungen und Waalwege

Kaum sind meine beiden Freundinnen von zu Hause in Bozen angekommen, zieht der Himmel zu! Immerhin, auf unserer ersten Etappe über die Weiden der Sarntaler Alpen, kann man die Dolomiten noch erahnen. Am nächsten Tag sieht das schon ganz anders aus! Nebel und kalter Wind empfängt uns. Das bin ich gar nicht mehr gewohnt! Rasend schnell bewegen sich die dunklen

Wolkenfetzen über uns hinweg! Passen wir den richtigen Augenblick ab, zeigt sich kurz ein weiterer Blick als 100m! Immer entlang des Fernwanderwegs E5 geht unsere Route bis zu Meraner Hütte. Weite Fernblicke, die über der Baumgrenze auf einem Höhenrücken zu erwarten sind, gibt es zwar nicht, dafür können wir hunderte von Steinmännchen bewundern, die sich auf dem Berg 'Stoanerne Mandeln' befinden. Eines neben dem anderen! 


Und dann folgt er, mein zweiter Regentag. Kein Dauerregen, sondern eher ein Dauernebel mit Regenschauern. Die gewünschte Wanderung über den Hirzer fällt leider im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. Unterhalb wandern wir durch den Wald außenrum. Keine 30 Minuten, nachdem ich meine beiden Freundinnen in die Seilbahn zurück gesetzt habe, reißt der Himmel auf und der Hirzer schaut herunter. Super Timing!


Ich finde es angenehm, dass es nun endlich nicht mehr so heiß ist. Es hat ganz schön abgekühlt! So sehr, dass es in zwei Nächten ab etwa 2400m Neuschnee gegeben hat und die E5 Wanderer bei mir in der Hütte ebenfalls an der Besteigung des Hirzers hindert. Zur Zeit ist es tagsüber mit 25 Grad auch im Tal sehr angenehm. Endlich das perfekte Wanderwetter!


Weiter geht es nun ins Vinschgau. Zuerst folgt von der Hirzer Hütte ein langer Abstieg ins Tal, um auf der anderen Seite wieder auf den Meraner Höhenweg aufzusteigen. Plötzlich ist wieder was los! Etliche Tagestouristen und einige Wanderer, die den Meraner Höhenweg gehen! Als ich erfahre, dass einige Unterkünfte schon Monate vorher ausgebucht waren, werde ich etwas unruhig. Doch ich habe Glück! Auf der Leiteralm bekomme ich ein gemütliches Zimmer. Wegen dem schlechten Wetter haben ein paar angesagt. Dazu muss man sagen! Das schlechte Wetter hat mal wieder nur den Meraner Höhenweg getroffen und nicht mich! Der Aufstieg ging bis auf wenige Tropfen komplett regenfrei. Hab ich mal wieder Dusel gehabt! 


Auch die nächste Unterkunft ist wegen einer großen Schulklasse komplett ausgebucht. Doch wieder habe ich Glück! Ich bekomme ein gemütliches Sofa in der Näh- und Bügelstube des Gasthofs. Überall liegt Wäsche herum und in der Mitte des Raumes steht eine große Bügelmaschine. Das ist viel besser als in einem Lager mit 7 oder 8 anderen zu liegen, die schnarchen oder einen anderen Insbettgeh- oder Aufstehrythmus haben. 


Die eineinhalb Tage auf Meraner Höhenweg zeigen mir, dass es sich definitiv einmal lohnt, ihn ganz zu gehen. Immer auf der Höhe geht er in leichtem auf und ab etwa 1000m über dem Tal immer am Hang entlang. Die felsigen, zum Teil sogar in den Fels gesprengten Wege, sind schön zu gehen. Und bei klarer Sicht, wie ich sie morgens gerade habe, reicht der Blick zurück bis zur Sella, Marmolata und dem Rosengarten. Auf der anderen Seite überragt der Ortler die anderen Gipfel. 

Ein Höhepunkt ist bestimmt die 1000 Stufen Schlucht. Über etwa 1000 Stufen geht ist in eine Schlucht hinunter und auf der anderen Seite wieder hinauf. Beim Betreten der Schlucht glaubt man kaum, dass es einen normalen Wanderweg durch die steilen Wände wieder aus der Schlucht hinaus geben kann. Noch eine ganz andere Bedeutung bekommt für mich die Schlucht der 1000 Stufen. Denn an diesem Tag gehe ich nicht nur 1000 Stufen, sondern auch meinen tausendsten Kilometer! Ich habe jetzt ungefähr die Hälfte geschafft. Aber ein besonderes Gefühl stellt sich nicht ein. Ich bin nicht aufgeregt und es fühlt sich nicht besonders an, sondern so, wie jeder andere Kilometer auch. Keine Emotionen beim tausendsten Kilometer! Schön ein paar Mal habe ich mir überlegt, wie es sein wird, in den vierstelligen Kilometerbereich zu kommen. Doch nichts! Nichts besonderes! Es ist egal, wie viel ich schon gegangen bin und wie viel noch kommen wird. Hauptsache ich bin unterwegs! Es zählt mittlerweile sowieso nur der Tag selbst und nicht, was gestern war oder morgen sein wird.


Auf dem Weg hoch zum Meraner Höhenweg und weiter hinein ins Vinschgau benutze ich die Waalwege. Hunderte von Kilometern ziehen sie sich rund um das Meraner Land. Auf einem dieser Waalwege bekomme ich ein Gespräch von einem etwa vierjährigen Jungen und seiner Mutter mit.

Die Mutter: 'Die Waale sind ausgetrocknet!'

Der Junge: 'Ich sehe keine Wale!'

Die Mutter: 'Rechts neben dir!'

Der Junge: 'Da sind keine Wale!'

Die Mutter: 'Doch schau mal, die sind ganz ausgetrocknet!'

Der Junge: 'Mama, da ist doch gar kein Wasser drinnen. Da kann kein Fisch leben! Und ein toter ist auch nicht drin!'

Als die Mutter keine Anstalten macht, ihren Sohn zu erklären, was Waale sind, mache ich es: Waale sind künstlich angelegte Bewässerungskanäle, die im 13. Jahrhundert angelegt wurden. Zur Instandhaltung und Pflege eines Waals wurden schmale Pfade errichtet. Viele dieser Wege gibt es noch und dienen heute als Wanderwege.


Ich wurde schon öfters gefragt, was so eine lange Wanderung mit dem Körper macht. Wie er sich verändert. So eine Veränderung geschieht, aber es geht langsam. Ich selber merke es kaum. Aber als meine beiden Freundinnen von zu Hause kommen und meinen, du bist aber drahtig geworden, fällt mir erst richtig auf, dass ich schon deutlich dünner geworden bin. Vor allem in den letzten drei Wochen! Die anfangs eng anliegende Hose, die ich in Villach gekauft habe, schlabbert nun hinunter und ist nicht mehr eng. Die Wanderhose von zu Hause hält nur noch mit einem Schnürsenkel als Gürtel. Das ist noch nicht schlimm. Aber mehr Gewicht sollte ich nicht verlieren. Also: mehr Essen! 

Seit ich die letzten drei Tage wieder alleine unterwegs bin, merke ich, dass die Touren immer länger werden müssen, damit ich nicht zu früh ankomme und ausgelastet bin. Angeschriebene 10 Stunden Touren sind jetzt das angemessene Tagespensum. Habe ich darüber vor vier Wochen noch geflucht und bin total erschöpft angekommen, suche ich jetzt kleine Extras, mit denen ich die Tour noch aufpäppen kann. So fit wie jetzt, war ich noch nie! 



Im Reich der bleichen Berge

Es ist mal wieder Zeit für eine kleine Zwischenbilanz: 

Strecke: 900 km

Aufstieg: 42.500 hm

Abstieg: 41.700 hm

45 Gehtage 

256 Stunden reine Gehzeit 

6 Ruhetag

1 Regenwandertag


In den letzten Tagen geht es duch die wunderbare Welt der Dolomiten. Schon rund um die drei Zinnen stecken wir mitten drin. Fast die ganze Zeit hat und die Königin der Dolomiten im Blick- die Marmolata. Ein tolles Bild! Fast immer, wenn wir nach Süden blicken, leuchtet uns ihr weißer Gletscher entgegen. 


Wir überqueren als erste Gruppe nach den drei Zinnen die Tofanes Gruppe. Und wie noch viele weitere Male in den Dolomiten hat es auch hier ein paar Murmeltier, die fast darauf warten, sich vor Wanderern zu balgen. Überhaupt nicht scheu, lassen Sie sich von uns nicht stören. Wir können sogar relativ nah ran gehen. Das ist schon faszinierend! 


Unsere weitere Wanderung führt uns in eine Gegend, die ich vom Traumpfad München Venedig schon kenne. Ein Blick von Nord nach Süd verdeutlicht mir unsere damalige Wanderstrecke. Im Norden ragt der Olperer stolz in den zillerlaler Alpen empor. Südlich davon erkenne ich den Peitlerkofe, die Puez-Geisler-Gruppe, den Sellastock mit den Piz Boe, die Marmolata und schließlich die 1000m hohen Wände der Civetta. Ich finde es spannend in ein Gebiet zu kommen, das ich schon kenne. Und an der Faszination und Schönheit hat sich hier nichts verändert! 


Kaum nähern wir uns Parkplätzen oder einer der unzähligen Seilbahnen ist es mit der Ruhe in den Bergen vorbei. Die Tagestouristen strömen auf den Berg! Bei dieser Landschaft und den tollen Fernblicken auch kein Wunder! Sieht man doch im Osten, Süden und Westen die typischen bleichen, steil abfallenden Berge mit den hohen beeindruckenden Wänden. Im Norden dagegen erheben sich die schneebedeckten Gipfel der zillerlaler, stubaier Alpen und im Anschluss daran die Texelgruppe und etwas südlich der Ortler! Was für ein Bild!


Für so eine Sicht muss natürlich das Wetter passen. Und wer in meiner Zwischenbilanz fleißig mitgelesen hat, der wird feststellen, dass ich erst einen Regenwandertag hätte. Das ist schon der Wahnsinn! Das heißt allerdings nicht, dass es die ganze Zeit nicht geregnet hat! Nur nicht, wenn ich unterwegs war. In der letzten Zeit zieht jeden Abend ein Gewitter in die Berge. Abends scheppert es dann manchmal gewaltig und am nächsten Morgen erwartet uns strahlender Sonnenschein und blauer Himmel! So muss es sein! Nur als wir am Sonntag auf der Plattkofelhütte aufwachen und nach draußen schauen, sehen wir heftig runterprasselnden Regen. Immer wieder Blitz und Donner. So geht das schon seit dem Abend. So ein langes und hartnäckiges Gewitter habe ich noch nie erlebt. Alle in der Hütte lassen es langsam angehen. Keinen zieht es nach draußen. Doch die meisten müssen irgendwann. Schließlich ist das Wochende zu Ende! Da ich sowieso dringend einen Tag Ruhe brauche, und unser Weg auf nassen, matschigen und zum Teil steilen Wegen wenig erquickend und auch etwas gefährlich werden könnte, kriechen wir nach dem Frühstück wieder ins warme Bett, während über uns der Regen aufs Dach prasselt und Blitze das Zimmer erhellen. Gegen Mittag ist der Spuck zu Ende, doch ein kalter Wind peitscht über die Berge. 

Wie dringend ich diesen Tag Ruhe brauch, merke ich schnell. Nach einem weiteren Morgen- Mittags- und Nachmittagsschlaf, ja gefühlt schlafe ich den ganzen Tag, fühle ich mich wieder fit und erholt.


Am nächsten Morgen kann ich es kaum erwarten, wieder los zu gehen. Strahlend blauer Himmel erwartet uns. Und die Wanderung über die größte Almhochfläche Europas, die Seiser Alm, ist ein Traum! Im heftigen Regen wäre das allerdings ein unangenehmes Unterfangen geworden. Der Weg führt uns dann über die Schlerngruppe zu unserem letzten Gipfel der Dolomiten, dem Monte Petz. Und wieder erwartet uns ein Panorama wie auf einer Postkarte.

Da uns durch den Ruhetag ein Tag fehlt, folgt nun der Abstieg durch eine tolle Schlucht, die Bärenfalle, nach St. Zyprian. Mittlerweile nur noch auf 1000m erwartet uns eine Hitze, die wir nicht mehr gewohnt sind. Nicht traurig, dass uns der Abstieg bei 34 Grad durch sonnige Felder und Weinreben erspart bleibt, steigen wir in den Bus nach Bozen. Da hat sich der Ruhetag doppelt gelohnt. Ich bin wieder richtig fit und die Wanderung über die Schlerngruppe ist so schön, dass gutes Wetter unbedingt dafür genutzt werden muss!


In Bozen muss ich mich leider von meiner Begleitung seit Arnoldstein verabschieden. Es war wirklich schön! Doch heute Mittag warten schon die nächsten auf mich. Was für ein Luxus! 

Im Bann der drei Zinnen

Morgens starten wir an der neuen Porzehütte unsere letzte Etappe auf dem karnischen Höhenweg. Lang soll sie werden! 10 Stunden sind angegeben, weil die Hütte in der Mitte noch geschlossen hat. Wieder geht es stundenlang auf dem Grat entlang. Und mit was für einer Aussicht! Im Norden sieht man vom Großglockner über die Venedigergruppe zu den zillerlaler und stubaier Alpen. Lässt man den Blick nach Süden schweifen, so dominieren die sextener Dolomiten. Hoch, schroff und mit vielen Zacken ragen sie in die Höhe. Laut dem Wanderführer soll man von hier die drei Zinnen sehen können. Immer wieder suchende Blicke. Doch keine drei Zinnen. Wir wandern immer weiter über tolle, zum Teil geröllige und steile Abschnitte. Fast immer mit Aussicht. Und siehe da, wir sind schon fast an der Hütte angekommen, sieht man sie, die drei Zinnen! Doch nicht so, wie man sie auf Fotos kennt. Ganz unscheinbar und verdeckt sieht man zwei der Spitzen. Sie gehen in der wilden Szenerie, die sie umgibt, fast unter. Und sind bestimmt nicht spektakulär! Die Gebirgsgruppen drum herum sind wesentlich imposanter! Ich bin ein wenig enttäuscht. 


Nach einem netten Hüttenabend mit vielen netten Wanderern, die nun alle auf dem karnischen Höhenweg starten, brechen wir am Morgen zu unserem ersten Abstieg ins Tal seit 10 Tagen auf. Der karnische Höhenweg schafft es, einen 100 km langen Kamm auf etwa 150 km Wanderweg zu überqueren, ohne einmal ins Tal abzusteigen. Das ist in den Alpen schon etwas besonderes. Je tiefer wir kommen, desto heißer wird es. Im Tal nutzen wir die Gelegenheit, den Proviant mal wieder aufzufüllen. Dann geht es weiter. Ich bin ganz aufgeregt, bald werden wir am Fuß der berühmten drei Zinnen stehen! Doch ohne Mühe ist dieser Anblick nicht zu bekommen. Durch Geröll und Latschen geht es 1200 hm in der brennenden Sonne hinauf. Der Schweiß tropft. Doch dann haben wir es geschafft. Hier stehen sie also, alle drei! Imposant und allein stehend! So wie man sie von Bildern kennt. Die Wände ragen senkrecht bis zu einem halben Kilometer hinauf! Wahnsinn! Hier sind also viele Kletterlegenden geschrieben worden. Viele Kletterer haben diese Wände schon begeistert. Kein Wunder!

Alleine kann man solch einen Platz natürlich nicht bewundern. Schon gar nicht, wenn man mit dem Auto fast bis hoch fahren kann und ein sehr breiter Wanderweg, eine regelrechte Wanderautobahn, jedem diesen Anblick zugänglich macht. Scharen von Touristen aus allen Ländern stehen an der drei Zinnen Hütte und knipsen wie verrückt. Um den Massen zu entgehen, wandern wir etwas anspruchsvoller oberhalb der vollen Wanderautobahn weiter. Immer im Blick: die steilen Wände der drei Zinnen. Doch auch drum herum, nicht weniger spektakulär, aber deutlich weniger bekannt, ragen weitere, zum Teil sogar höhere schroffe Zacken in die Höhe. Häufig ebenfalls mit tollen senkrechten Wänden.

Unser Ziel ist die Auronzohütte. Dabei ist es schwierig bei diesem großen dreistöckigen Gebäude noch von einer Hütte zu sprechen. Schließlich muss sie tagsüber hunderte, in der Ferienzeit wohl eher tausende Tagesgäste versorgen und nachts vielen Wanderern, Kletterern und Mountainbikern ein Quartier bieten. 


Auch heute rücken die drei Zinnen immer wieder in den Fokus. Wenn auch von der Rückseite, die nicht ganz so spektakuläre Wände zu bieten hat. Unser Weg führt uns in einen mit Geröll gefüllten Kessel. Umgeben von steilen Wänden. Am Drahtseil geht es zu einer gemütlichen Hütte. Wir beschließen, auf einem gesicherten Steig auf einen Sattel und in einen weiteren Kessel zu steigen. Die Landschaft ist sehr faszinierend! Überall Geröll und helle steile Wände. Das reinste Paradies für Kletterer und Alpinisten! Allerdings für Wanderer und vor allem auch für mich sehr anstrengend und herausfordernd. Sehr steile Aufstiege machen mir weniger aus. Aber geröllige sehr steile Abstiege sind bestimmt nicht meine Favoriten. Ich habe lieber festen Fels unter den Füßen als jede Menge Geröll! Sehr langsam und konzentriert gelingt uns der Abstieg. Als wir vom Weg abkommen, was in einem sehr steilen Gelände, in dem der Weg fast jedes Jahr neu angelegt oder zumindest markiert werden muss, nicht schwierig ist, komme ich bei einem sehr steilen Abstieg an meine Grenzen. An der Hütte angekommen, steht auf einer Wanderkarte zu unseren Weg: nur für Experten! Und dazu gehöre ich (noch) nicht! Immerhin weiß ich jetzt, nach welchen Wanderwegen ich mich auf der Karte orientieren muss!

Höhenwanderung in den karnischen Alpen

Mittlerweile bin ich schon fast den gesammten karnischen Höhenweg gegangen. Morgen folgt die letzte Etappe zur Silianer Hütte. Ein wirklich toller Höhenweg und allen Wanderfreunden wärmstens zu empfehlen! Interessant ist dieser Weg in vielerlei Hinsicht. Zum einen geschichtlich: während des ersten Weltkriegs wurde hier hart gekämpft. Man läuft den ganzen Weg an der damaligen Kriegsfront entlang. Einige Ruinen zeugen noch von dieser Zeit. Heute liegt hier genau die Grenze zwischen Österreich und Italien. Zum anderen ist er auch in geologischer Hinsicht spannend. Der karnische Hauptkamm liegt genau zwischen den Zentralalpen und den südlichen Kalkalpen. Spannend ist, dass es hier ein Gemisch aus beidem gibt. Läuft man gerade noch an Kalkriesen vorbei, ist daneben schon rötliches oder bräunliches Blockwerk oder fast genauso hohe mit Gras bewachsenebewachsene Berge. Durch dieses Gemisch kommt auch die unglaubliche Pflanzen- und Blumenvielfalt zu stande. Zusammen mit dem grandiosen Aussichten macht dies den Weg zu einem reinen Vergnügen und einzigartigen Höhenweg.


Seit dem Beginn des Höhenwegs bin ich wieder in Begleitung. Das ist super! Gemeinsam beginnen wir die Wanderung zunächst noch viel in Almregionen. Hier ist alles noch etwas lieblicher und sehr idyllisch. Auf der Feistritzer Alm, auf der wir  zuerst übernachten, erfahren wir von Flo, der hier oben auf der Alm für die Weide und die Tiere verantwortlich ist, einiges über seine Arbeit. Dann bietet er uns an, uns am nächsten Morgen zum Sonnenaufgang auf den etwa 1h entfernten Oistering zu führen. So ein Angebot bei bestem Wetter kann man ja nicht ausschlagen. So Wandern wir, von Flo dermaßen gezogen, in unter 30 Min um halb fünf auf den Gipfel. Die Anstrengung hat sich definitiv gelohnt! 


Die Landschaft wird Richtung Westen nun immer spektakulärer. Immer mehr aussichtsreiche Wanderungen folgen. Und jede ist anders. Das macht diesen Weg so abwechslungsreich! Noch immer fast den ganzen Tag alleine, ohne auch nur irgendjemanden zu sehen. Zumindest bis Fronleichnam. Plötzlich kommt Leben in die Hütte! Einige nutzen das lange Wochenende und das gute Wetter für die erste Hüttentour der Saison. Voll sind die Hütten nicht. Aber wenn man 5 Wochen lang fast imner der einzige Gast war, schon eine Umstellung. Gemütliche Hüttenabende mit plaudern und spielen sind toll. Schnarcher im Lager neben mir dafür weniger :) 


Auf der Zollnerseehütte erzählt die Wirtin, dass dieses Jahr schon ein paar Wanderer auf dem Weg nach Nizza unterwegs sind und bei ihr übernachtet haben. Ich bin nicht die einzige! Aber die Wahrscheinlichkeit, dass ich einen davon treffe, ist doch sehr gering. Auf dem Wolayerseehaus drückt mir der Wirt ein Buch in die Hand: 'eine Alpenüberquerung von Wien nach Nizza'. Er selber hat vor 20 Jahren als Bergführer diese Wanderung geführt. Allerdings nicht am Stück, sondern in Etappen auf 7 Jahre verteilt. Trotzdem sehr spannend!


Ein weitere Höhepunkt sind bestimmt die vielen Murmeltiere rund um die Wolayerseehütte. Bestimmt 20 Murmeltiere bekommen wir zu Gesicht. Sie sind überhaupt nicht scheu und man kann ihnen aus kleiner Entfernung zuschauen, wie sie sich putzen, in ihre Bauten rein und raus kriechen oder Wache halten. Sehr faszinierend! 

Abstecher in die Karawanken

Viel früher als gedacht erreichen wir Villach. Erst in einer Woche kommt meine nächste Begleitung nach Arnoldstein (eine Tagesettape entfernt von Villach), um mich auf dem karnischen Höhenweg zu begleiten. Also bleibt Marlies und mir etwas Zeit, die Gegend zu erkunden. Schließlich beschließen wir, das Gebirge an der Grenze zu Slowenien besser kennen zu lernen und tauchen ab in die Karawanken. 


Mit den Karawanken tauchen wir, im Gegensatz zu unseren letzten Etappen, ein in die wunderbare Welt der schroffen und bleichen südlichen Kalkalpen. In ein Gebiet, in dem sogar wieder Bären leben. Aus Slowenien und Italien sind sie nach Österreich gekommen. Bären gibt es in Österreich nur im Bereich der Grenze zu Italien und Slowenien in den Karawanken, den Karnischen Alpen, den Gailtaler Alpen und in Osttirol. Zu Gesicht bekommt man diese Tiere allerdings nur selten. Und auch und bleibt er verwehrt. Nur auf Hinweisschildern werden wir auf sie aufmerksam gemacht und wie man sich verhalten soll, wenn doch einer auftauchen sollte.


Doch bevor wir in die Karawanken abtauchen, steht noch eine weitere Wanderung von Arriach nach Villach an. Gemeinsam geht es über den letzten Ausläufer der Nockberge zu den Kärntner Seen. Der berühmteste von allen ist bestimmt der Wörthersee. Doch unzählige weitere Seen warten hier auf Touristen und haben allerhand zu bieten. Die größten sind neben dem Wörthersee der Millstätter See, der Ossiacher See und der Weißensee. Heiß und verschwitzt genießen wir den Ossiacher See. Angenehm erfrischend ist das Wasser, mit 19 Grad sogar wärmer als vermutet. Lange liegen wir im Wasser, schwimmen ein bisschen und genießen das Bergpanorama rund herum. 


Hoch motiviert starten wir am nächsten Tag unsere Tour in Richtung Karawanken. Schon gestern ist uns ein sehr markanter Berg aufgefallen. Fast alleinstehend und höher als alles um ihn herum, ragt er vor uns auf. Hoch sieht er von hier unten aus. Kaum vorstellbar, dass wir morgen früh auf seinem Gipfel stehen wollen! Heiß und fast schweißtreibender als im Gebirge schlängelt sich der Weg zunächst 15 km durch das flache Land. Teilweise über sonnendurchflutete Wiesen und Felder. Fast sehnsüchtig erwarten wir den Wald und den Aufstieg. Und tatsächlich: der Aufstieg ist zwar ebenfalls schweißtreibend, aber im Schatten der Bäume wesentlich angenehmer. Kaum an der Bertahütte angekommen, hüpfen wir noch auf die Ferlacher Spitze. Ohne Rucksack und mittlerweile gut trainiert geht das wie im Flug und ohne große Anstrengungen. Obwohl der Gipfel um einige hundert Meter vom Mittagskogel, dem höchsten Berg der westlichen Karawanken, übertrumpft wird, ist er doch ein wirklich toller Aussichtsgipfel. Der Blick wandert über die Seen bis hinüber zu den Nockbergen. Hinter uns ragt die schroffe Südwand des Mittagskogels in die Höhe.


Am nächsten Morgen folgt die Besteigung des Mittagskogels. Haben wir noch überlegt, ob wir heute die ersten dort oben sind, strömen schon beim Frühstück die ersten Wanderer zur Hütte und weiter zum Gipfel hinauf. Schnell steht fest, die ersten werden wir nicht sein und die einzigen ganz sicher auch nicht. Das ist auch kein Wunder. Schließlich ist Pfingstsonntag, das Wetter ist gut und der Mittagskogel ein wirklich schöner Gipfel.

Wieder mit leichtem Gepäck meistern wir fast mühelos den Gipfel. So viele Wanderer habe ich zusammen auf meiner ganzen Tour noch nicht gesehen. Aber es macht mir nichts aus. Irgendwie genieße ich es sogar! Leider ist es etwas trüb und die Sicht ins Tal ist sehr eingeschränkt. Doch dafür erstreckt sich vor uns die  atemberaubende Gebirgswelt der Julischen Alpen. Schroff ragt die fast 1000m hohe Nordwand des Triglavs vor uns auf. Mit der Besteigung des Mittagskogels ist aber auch ein weiterer Höhepunkt für mich erreicht. Nach über 500km in Österreich betrete ich das erste Mal ein anderes Land: Slowenien. Wenn auch nur sehr kurz und immer an der Grenze entlang. Aber immerhin! Ich habe fast ganz Österreich zu Fuß durchquert! Einfach großartig!


Die folgenden beiden Tage nutzen wir, um zur Klagenfurter Hütte aufzusteigen und Gipfel zu sammeln. Doch das Wetter meint es nicht zu gut mit uns. Die Sicht ist durch Wolken und Nebel ziemlich getrübt. Den Gipfel Bielschitza erreichen wir sogar gar nicht. Der Nebel um uns wird dichter und dichter. Der Weg ist kaum noch zu erkennen, die Markierungen irgendwann gar nicht mehr. Das hat keinen Sinn. Kurz vor dem Gipfelkreuz drehen wir um. Es hat keinen Wert mehr! Verlaufen will man sich in diesem Geröll sicher nicht. Wir steigen ab ins Rosental. Kaum angekommen fängt es heftig zu regnen und zu gewittern an. Bis in die Nacht hinein hört es nicht mehr auf. Da haben wir noch einmal Glück gehabt!


Die schöne Zeit mit Marlies ist nun schon zu Ende. Sie fährt zurück und ich habe zwei freute Tage in Villach. Auch nicht schlecht! Dann geht es weiter nach Arnoldstein und auf den karnischen Höhenweg.


600 km und 23.000 Höhenmeter liegen nun schon hinter mir. Ich betrete nun Neuland. Die Strecke des Traumpfads München Venedig habe ich schon geschafft. So weit bin ich bis jetzt noch nie gewandert! Das Gefühl ist toll, es schon so weit geschafft zu haben! Die Vorfreude auf die nächsten spannenden Wegabschnitte wächst und wächst. 

Nun fragt man sich natürlich auch, was für Spuren so ein langer Fußmarsch hinterlässt. Da muss ich sagen, ich bin positiv überrascht. Die wenigen Blasen, die ich hatte, sind längst verheilt, die Haut ist schon lange braun gebrannt und die Sonnencreme ganz unten im Rucksack, die Schuhe haben sich meinen Füßen angepasst und meine Füße den Schuhen, die Beine bestehen nur noch aus Muskeln und mein Magen ist ein Fass ohne Boden und kaum satt zu bekommen. Meine Kleidung ist vollgeschwitzt und der Duft in unserem Zimmer in der letzten Nacht vor Marlies Abreise ist so schlecht und stinkend, dass Marlies davon schlecht wird. 28 Tage ein T-Shirt vollschwitzen und alle 6 Tage Handwäsche hinterlässt dann doch einen gewissen unangenehmen Duft. Doch ist man unterwegs, bemerkt man das selber gar nicht mehr. Trotzdem bin ich froh, dass hier in der Jugendherberge eine Waschmaschine bereit steht. Einmal alles durchwaschen ist bestimmt nicht verkehrt!

Auch meine Kleidung hält der Belastung gut Stand. Naja, immerhin fast. Vor einer Woche bemerke ich einen kleinen Riss in meiner Hose. Mit Nadel und Faden ist er schnell geflickt und eine Stunde später doppelt so groß. Ok, nähen hilft wohl nix und zum kleben finde ich nichts. Nach einem Tag reicht der Riss an meinem Hintern von einer Naht bis zur anderen. Einmal quer durch. Macht nichts, geht immer noch. Bei unserem Aufstieg zur Klagenfurter Hütte gibt es, als ich mich setzt, ein lautes 'Ratsch'. Die Hose hängt wie ein Stück Stoff herunter. Ok, ich hab verstanden, sie will nicht mit nach Nizza! Das ist meine älteste Wanderhose, super bequem und deshalb immer dabei, aber mittlerweile doch altersschwach und spröde. Also noch eine Aufgabe für den Ruhetag: eine neue Hose muss her!

Badefreuden im Ossiacher See
Badefreuden im Ossiacher See
Schon von weitem ist der Mittagskogel zu erkennen
Schon von weitem ist der Mittagskogel zu erkennen
Im Hintergrund der Wörthersee
Im Hintergrund der Wörthersee
Leider haben wir keinen Bären gesehen
Leider haben wir keinen Bären gesehen
Am Gipfel des Mittagskogels
Am Gipfel des Mittagskogels
Mit einem Bein in Slowenien und mit dem anderen in Österreich
Mit einem Bein in Slowenien und mit dem anderen in Österreich
Die Wolken verbergen leider die Sicht auf den höchsten Gipfel der Karawanken, den Hochstuhl
Die Wolken verbergen leider die Sicht auf den höchsten Gipfel der Karawanken, den Hochstuhl
Jetzt muss wirklich ein Ersatz her :-)
Jetzt muss wirklich ein Ersatz her :-)

Gipfelstürmer in den Nockbergen

Für alle Zahlenfreunde noch einmal eine kleine Zwischenbilanz:

Strecke: 496 km

Aufstieg: 18.130 hm

Abstieg: 17.530 hm

23 Gehtage 

127 Stunden reine Gehzeit 

3 Pausetage 

1 Regentag 



Meinen Ruhetag in Murau verbringe ich hauptsächlich in einer sehr gemütlichen Hängematte im Stadtpark. Sogar mit öffentlichem WLAN. So liege ich hier sechs Stunden, lausche dem Rauschen des Bachs und dem Zwitschern der Vögel. Ein sehr gemütlicher Tag. Der eigentliche Plan ins Freibad zu gehen erledigt sich, als ich von außen in das Naturfreibad blicke. Der künstlich angelegte Badesee ist nur zu einem Drittel gefüllt. Von mehreren Seiten fließt kontinuierlich frisches kaltes Wasser ins Becken. Doch ich habe Glück. Die Inhaberin des Freibads lässt mich ins Wasser. Es ist schon witzig ein ganzes Freibad für sich alleine zu haben. Ich planschen ein bisschen im Bauchnabel hohen eiskalten Wasser, bevor ich mich auf in den Stadtpark zu den Hängematten aufmache. Hier ist es doch am gemütlichsten.


Abends kommt endlich meine gute Freundin Marlies in Murau mit dem Bus an. Gemeinsam starten wir eine Wanderung durch die Nockberge. Den Wanderführer für den Salzsteigweg habe ich nun doch nicht umsonst mitgenommen. Einige Etappen können wir noch auf ihm wandern. Im Unterschied zu den Nordalpen, gab es den Wintereinbruch im April nicht. Es ist sowieso sehr warm und trocken hier. Die Schneegrenze liegt weit über 2300m. Nur sehr vereinzelnte kleine Schneefelder konnten der Sonne bis jetzt noch trotzen. 

Die Nockberge bilden den westlichen Teil der Gurktaler Alpen. Es handelt sich hierbei um eine nicht zu hohe, maximal 2400m,  eher sanftere und lieblichere Bergwelt. Die vielen Gipfel und Grate sind bis oben hin mit Gras bewachsen und es gibt wenige schroff abfallende Hänge. 

Das sind natürlich nicht nur ideale Bedingungen fürs Wandern, sondern im Winter auch fürs Skifahren. Das merken wir schnell. Die Ortschaften sind wie ausgestorben, überall wird Werbung für  den    Wintersport gemacht, etliche Unterkünfte sind geschlossen und die Landschaft ist gespickt von Skiliften, Bergbahnen und Pisten. Beim Wandern ein eher unschöner Anblick. Und vorallem Skipisten in der knallen Sonne hochzukeuchen sind doch eher eine Qual als eine Freude. Besonders am ersten Tag in den Nockbergen bereitet uns die Skipiste am Ende des 1200 hm langen Aufstiegs eine besonders große Freude. Zum Glück kommt der Wanderer nach dem Überschreiten der Skigebiete in unberührte faszinierende Gebiete der Nockberge. Ganz besonders ist dies natürlich in dem Gebiet des Nationalparks Nockberge der Fall.


Die Suche nach einer Unterkunft ist unkompliziert. Da wir morgens nicht wissen, wo genau wir abends landen, buchen wir nicht. Das ist eigentlich auch kein Problem. Bis auf der Turracher Höhe. Auf der Wanderkarte sind Unmengen von Hotels und Pensionen eingezeichnet. Schließlich ist es ein Wintersportort. Aber genau darin liegt das Problem. Nichts ahnend fragen wir gleich in der ersten Pension. Doch diese gibt es nicht mehr. Schließlich klappern wir den ganzen Ort ab. Alles hat geschlossen. Nein, ein einziges Hotel ist seit drei Tagen wieder offen. Aber es ist ein vier Sterne Hotel. Nichts für uns! Wir gehen weiter. Keine Chance! Uns bleibt nichts anderes übrig, als nach dem Preis zu fragen. Wir treten ein. Doch so richtig wohl fühlen wir uns, verschwitzt und stinkend wie wir sind, nicht. Freundlich werden wir empfangen und bekommen günstiger als befürchtet und gerade noch erschwinglich ein schönes großes Zimmer. So genießen wir den Luxus, den man als Wanderer normalerweise nicht hat. 


Die ersten beiden Tage führen uns über einige Grate und Kämme stundenlang immer in leichtem auf und ab von einem Gipfel zum nächsten. So können wir an zwei Tagen neun Gipfel besteigen. Die Sicht ist der Wahnsinn. Ragen im Norden die schneebedeckten schroffen Gipfel der Niederen Tauern auf, so reicht der Blick nach Süden bis zu den Karawanken und den karnischen Alpen. Einfach wunderschön. Doch so ganz unanstrengend ist das ganze Unterfangen nicht. Schließlich legen wir an zwei Tagen 50 km und 3.000 hm im Aufstieg in 19 Stunden zurück. Da ist es gar nicht so schlimm, dass wir in den nächsten Tagen mit Gewittern zu kämpfen haben und die Etappen kürzer ausfallen müssen. Allerdings müssen auch die vorgesehenen weiteren stundenlangen Gratwanderungen auf niedrigere Höhen verschoben werden. Die Abschnitte in offenem ausgesetzten Gelände werden so kurz wie möglich. Stattdessen geht es mehr durch den Wald und kleine Ortschaften. 

Wanderern sind wir nur wenigen begegnet. Kein Wunder, die Wandersaison hat noch nicht richtig begonnen. Die Gipfelbücher bestätigen dies. In einigen haben sich dieses Jahr gerade mal ein Dutzend Wanderer oder noch weniger eingetragen. Die Wanderwege sind teilweise nur mühsam zu finden. Gerade Wege, die über Wiesen führen, sind kaum auszumachen. Trampelspuren gibt es noch nicht. Passt man nicht ganz genau auf, verpasst man die Abzweigung. Dass uns das natürlich bei der längsten Etappe passieren muss, ist mal wieder typisch. Dass der Wanderweg aber auch über eine hohe Wiese mit kaum Markierungen gehen muss:)


Die Wiesen der Nockberge haben einiges zu bieten. Die tollsten Bergblumen blühen hier in wirklich rauem Gelände, über das nicht selten ein starker Wind peitscht. Leider kennen wir uns mit Blumen nicht besonders gut aus. Unten sind aber trotzdem ein paar Bilder von der wunderschönen bunten Pflanzenwelt der Alpen. Vielleicht kennt sich ja der eine oder andere besser aus als ich und erkennt die eine oder andere Blüte.

Fällt uns die Bestimmung von Blumen doch sehr schwer, so erkennen wir wenigstens die Tiere, die uns begegnen. Ein Murmeltier sitzt vielleicht 2m vom Weg entfernt hinter einem Stein. Es ist genauso erschrocken wie wir, als wir so nah an ihm vorbeilaufen. Murmeltiere sind schon wirklich süße Tiere. Und so nah eines zu sehen ist doch eher selten. Das zweite Highlight an diesem Tag sind die beiden Hirsche, die sich unbemerkt von uns etwas oberhalb von uns auf einer Wiese bewegen.  


Bis jetzt sind die Kuhweiden noch leer. Der Almauftrieb hat erst vereinzelt stattgefunden. Doch was ist das. Bei unserem heutigen Abstieg, wir sind schon fast im Ort Arriach angekommen, belagert eine ganze Kuhweide den Forstweg. Links und rechts die Zäune, die eigentlich die Kuhweiden begrenzen. Durch diesen schmalen Weg durch die Kühe hindurchgehen wollen wir nicht, vor allem weil einige süße kleine Kälbchen dabei sind. Dann drehen wir den Spieß einfach mal um. Wir klettern über den Zaun um über die Kuhweide am Forstweg vorbei zu spazieren.



Murau
Murau
Auf der flachen Scharte nahe dem Gipfel 'Falkert'
Auf der flachen Scharte nahe dem Gipfel 'Falkert'
Blick zurück in Richtung Bad Kleinkirchheim
Blick zurück in Richtung Bad Kleinkirchheim
Mitten in den Nockbergen
Mitten in den Nockbergen
Einer von vielen Gipfeln
Einer von vielen Gipfeln

Liebliche Täler und spektakuläre Aussichten

Dieser Abschnitt führt mich hauptsächlich durch weite und enge Täler in Richtung Süden. In Liezen stehe ich vor einem großen Puzzle. Vor mir ausgebreitet die beiden frisch erworbenen Karten. Sie füllen schon den gesammten Boden und das Bett von meinem kleinen Zimmer. Daneben liegt der Reiseführer für den Salzsteigweg, in der leisen und zu diesem Zeitpunkt eher verzweifelten Hoffnung, ihn nicht umsonst mitgetragen zu haben. Fast jede Etappe führt über 2200m. Wie in alles in der Welt bin ich auf die Idee gekommen, dass dieser mir etwas nützen könnte. Mein Blick fällt aus dem Fenster. Schön ist die Bergwelt dort oben und vor allem schön weiß ab 1800m. Ich lege den Wanderführer beiseite. Dieser kann mir bei der Überschreitung der Niederen Tauern auch nicht weiter helfen. Niedere Tauern, das klingt so harmlos und gemütlich. Doch sie sind halt nur nicht so hoch wie die Hohen Tauern mit dem Großglockner und den Großvenediger, den höchsten Bergen Österreichs. Ansonsten gehören die verschiedenen Bergmassieve trotzdem zu den Zentralalpen und überragen die Gebirgsgruppen, die ich bis jetzt überschritten habe.

Mein Blick schweift immer wieder über die ausgebreiteten Karten. Ein einziger Übergang überschreitet die 2000er Grenze nicht. Der Sölkpass. Doch so recht passt er mir nicht, bedeutet das doch, dass ich mich erst einmal vier Tage lang mit Tälerwanderungen und jede Menge Teer und Schotterwege begnügen muss. Ich habe langsam die Schnauze voll davon. Ich will weiter gemütliche Steige und Waldwege und vor allem Gipfelblicke genießen. Am liebsten eine Wanderung wie im Gesäuse fortsetzen. Doch mir wird klar, es gibt keine gute Alternative zum Sölkpass. Hilft ja nix. Ich greife erneut zu der Karte und schaue genauer hin. Mit ein paar zusätzlichen Höhenmeter lässt sich zumindest der Radweg im Ennstal einigermaßen umgehen. Ich atme auf und finde diesen Weg immer spannender. Nördluch vom Tal gibt es immer wieder kleine Waldsteige, die sich auf der Südseite des Toten Gebirges entlangschlängeln. Wie sehr mich diese und vor allem die 'blöde' Wanderkarten noch in die Weisglut bringen würden, ahne ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.


Frisch und gut ausgeruht verlasse ich Liezen. Wirklich schöne Pfade bringen mich im leichten auf und ab, das sich am Ende allerdings dich gut summiert, nach Pürgg. Dieses Dorf liegt wunderschön gelegen 200m über dem Ennstal direkt am Fuß des gewaltigen Grimming. Dieser alleinstehende Gebirgsstock von 2351 Metern überragt das Tal und gehört schon zum Dachsteingebirge. Am Tag zuvor habe ich schon ein Zimmer bei einer netten älteren Dame reserviert. Seit sie alleine im Haus wohnt, vermietet sie drei Zimmer an Gäste. Ich bekomme das größte, eigendlich für drei Personen gedacht, doch das Einzelzimmer sei zu klein und habe keinen Balkon. Ich widerspreche nicht und koste den Balkon richtig aus. Lange, bis es dunkel wird, sitze ich draußen. Vor mir der mächtige Grimming. Links von mir das Ennstal und in der Ferne die schneebedeckten Gipfel der Niederen Tauern. Hier lässt es sich leben! Wenn da nur nicht der unerträgliche Hunger wäre. Die letzten zwei Tage in der Stadt habe ich mich von Döner und Brötchen ernährt. Jetzt brauche ich was richtiges. Etwas warmes, deftiges, das mich richtig satt macht. Also verlasse ich den Balkon, ziehe die Schuhe an und ziehe los. Dieser winzige Ort verfügt über drei Wirtshäuser. Na also, wenn da nicht was für mich dabei ist! Ich betrete das erste, eine grimmig dreinblickende Dame erklärt mir genervt, sie koche nur für hauseigene Gäste. Ich verlasse das Haus wieder. Gar nicht so betrübt, denn wenn die genauso kocht, wie ihre Laune, dann guten Appetit. Hätte ich das nur nicht gedacht, denn entsetzt stelle ich fest, dass die anderen beiden Gasthäuser geschlossen haben. Mist! Ich hatte mich auf mehr gefreut als auf Müsliriegel und Nüsse. Ich betrete das Haus und möchte gerade die Treppe hinauf. Da steht plötzlich die nette ältere Dame vor mir. Ob ich nichts zum Essen gefunden hätte. Ich erzähle ihr meine verzweifelte Suche. Und dann rettet sie meinen Abend. Viel könne sie mir nicht anbieten, aber Brot, Butter und Käse könne ich soviel ich möchte haben. Sie gibt mir alles mit. Und so wird bei der vorherigen Aussicht auf Müsliriegeln das Käsebrot auf dem Balkon zu einem wahrhaftigen Festessen. Eine schönere Kulisse hätte ich sowieso nirgendwo sonst haben können.


Super gut gelaunt starte ich am nächsten Morgen den Abstieg ins Tal. Wenn die Wege heute genauso werden wie gestern, wird dieser Tag ein reiner Genuss!

Auf halbem Weg versperrt mir die Bahnlinie und eine dicke Mauer das Weiterkommen. Den in der Wanderkarte eingezeichneten Pfad gibt es nicht. Ich suche alles ab, keine Spur! Hilft ja nix, also wieder den Berg rauf und auf der Teerstraße einmal außenrum. Macht ja nichts, das kann schon mal passieren. 


Ich steige nun in Richtung Grimminghütte auf und suche den Pfad, der mich immer auf gleicher Höhe Richtung Westen bringen soll. Doch zwei Einheimische klären mich auf. Diesen Weg gibt es nicht mehr. Ich müsse komplett bis zur Hütte aufsteigen. Sogar noch etwas höher. Ein Forstweg bringe mich in weiten Serpentinen zurück ins Ennstal. Wenigstens den Weg bis zur Hütte habe ich nette Begleitung. Unten im Tal habe ich mir schon mindestens 4km Umweg und etliche Höhenmeter mehr eingebrockt. Eigentlich auf einer sehr kurzen Strecke. Ich beschließe, erst einmal die ganzen Abkürzungen auf der Wanderkarte zu ignorieren. Sie hat mich heute ganz schön enttäuscht. Damit das nicht noch mal passiert, biege ich auf den geteerten Ennstalradweg ab. Doch endlos lange und vollem langweiligen Kilometer erwarten mich. Gut gelaunt brausen die Radfahrer an mir vorbei. Ich grüße zurück. Doch nicht näherungsweise so gut gelaunt. Mein Lächeln ist gezwungen. Meine Füße brennen und die Sonne auch! Ich will nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Meine Füße brauchen Abwechslung und mein Körper Schatten. In einem kleinen Ort bleibe ich stehen. Mein GPS sagt mir noch 6km. Ich atme auf. Aber auf Forstwegen und einem Stückchen Pfad. Doch außenrum mindestens noch mal 10km Teer mag ich nicht. Durch den Wald geht es aufwärts. Immer weiter und weiter. Doch halt, der Pfad hätte doch schon längst abzweigen müssen! Ich drehe um. Agriebisch suche ich alles ab. Doch nicht der kleinste Ansatz einer Trampelspur. Sauer und wütend drehe ich um. Wirklich blöde Karte. Eine Stunde später stehe ich wieder in dem kleinen Ort. Dieses mal allerdings deutlich weniger euphorisch. Der nun folgende Teerhatscher führt dazu, dass ich total erschöpft Großsölk erreiche. Doch so groß ist Großsölk nicht mit seinen vielleicht 15 Häusern.


Nach einem kleinen Nickerchen gehe ich hinunter in den Gastraum. Ich bin alleine. Die Wirtin erklärt mir zu meinem Entsetzen- und sie muss es in meinem Gesicht erkannt haben- dass sie nur noch eine Frühstückspension seinen. Doch bevor ich irgendetwas sagen kann, meint sie, sie könne mir eine Kleinigkeit zu essen machen. Eine halbe Stunde späterer sitze ich vor einem gemischten Salat und einer großen Portion Nudeln in Käsesauce mit Gemüse. Was will ein Wanderherz mehr!


Der weitere Weg führt mich durch das wunderschöne Sölktal. Zwar immer entlang der Straße, doch das stört mich bei diesem Panorama nicht mehr. Verkehr ist sowieso keiner. Vereinzelt ein paar Autos oder Motorräder, sonst bin ich alleine. Am nächsten Tag erwartet mich der Pass mit heftigem Sturm. Über Nacht hat es geschneit, doch als ich aufbreche ist der meiste Neuschnee schon weg. Wind und Nebel nehmen mich auf dem Pfad zur Passhöhe gefangen. Eine mystische Stimmung. Doch irgendwie genieße ich es, komplett durchgeblasen zu werden. Die Aussicht ins Sölktal bleibt mir allerdings verwehrt.

Was ist das, ich kann es kaum glauben! Ich blinzle. Kaum auf dem Pass angekommen, erwartet mich strahlender Sonnenschein auf der anderen Seite. Was für eine Pracht. Ich bleibe stehen und genieße einfach. Dieses Panorama! Allerdings lange bleibe ich nicht alleine. Horden von Motorräder jagen den Pass hinauf. Schließlich ist Christi Himmelfahrt. Der Weg hinunter nach St. Peter am Kammersberg erweist sich dann als gemütliche Wanderung, immer begleitet von dröhnenden Motorengeräuschen. Naja, man muss schöne Blicke auch teilen können. Auch wenn ich das lieber mit ruhigeren Weggefährten getan hätte!


Um den wunderbaren Aussichten noch eins draufzusetzen, besteige ich heute die Stolzalpe. Ein unbekannter mit 1800m niedriger Berg zwischen den Wölzer Tauern und den Gurktaler Alpen. Doch mit was für einer Aussicht. Die Sicht reicht bis in die Radstädter Tauern und in der Ferne kann man die ersten 3000er der Zentralalpen erahnen. Einfach Wahnsinn! Langsam steige ich ab. Immerwieder stze ich mich und genieße den Ausblick. Ich habe Zeit. Bin ja bald da. Bestimmt zwei Stunden verbringe ich damit, einfach nur dazusitzen und zu genießen.

Schnell bin ich in Murau angekommen. Meine Wanderzeit alleine soll nun erst einmal zu Ende sein. Morgen kommt meine erste Begleitung. Ich freue mich darauf, diese Landschaft und diese Ausblicke mit jemandem teilen zu können!

Blick vom Balkon in Pürgg
Blick vom Balkon in Pürgg
Morgenstimmung in Pürgg
Morgenstimmung in Pürgg
Blick ins Sölktal von Großsölk
Blick ins Sölktal von Großsölk
Wasserfälle bei der Erzherzog-Johann-Hütte
Wasserfälle bei der Erzherzog-Johann-Hütte
Vom Sölkpass in Richtung Süden
Vom Sölkpass in Richtung Süden
Bluck zurück beim Aufstieg auf die Stolzalpe
Bluck zurück beim Aufstieg auf die Stolzalpe
Aussicht ins Murtal
Aussicht ins Murtal

Drei Jahreszeiten im Gesäuse

Drei unglaublich erlebnisreiche Tage liegen hinter mir. Und eines steht fest: der Nationalpark Gesäuse ist auf jeden Fall ein Wiedersehen Wert! Zum einen ist er unglaublich wild und schroff und zum anderen aber auch sanft und lieblich mit seinen grünen Almen. Zu dieser Jahreszeit ist er natürlich besonders faszinierend. So kann man doch im Gebirge drei Jahreszeiten innerhalb von zwei bis drei Stunden erleben. Während im Tal der Frühsommer begonnen hat, die Natur schon sehr weit ist und alles blüht, kommt man schnell in der Höhe in Richtung Frühling. Hier fangen die Pflanzen erst an, sich aus dem letzten Schnee zu recken und zu strecken und die ersten Blüten aufzumachen. Noch weiter oben hat der Winter die Natur noch fest im Griff. Die Wiesen sind noch schneebedeckt und von Knospen keine Spur. Ein sehr beeindruckendes Phänomen.


Doch trotz dieser unterschiedlich weiten Natur merkt man, wie der Sommer langsam in die Berge einzieht. Gerade in den letzten drei Tagen ist es unglaublich heiß. Auch auf 1500 Metern liegen die Temperaturen weit über 20 Grad und die Sonne brutzelt unerbärmlich vom Himmel. Der Aufstieg in der Mittagshitze zur Ennstaler Hütte ist deshalb umso beschwerlicher. Doch der Blick von oben entschädigt die Strapazen. Auf der einen Seite sieht man die lieblichen Voralpen. Dreht man sich um, blickt man auf die schneebedeckten schroffen Gipfel des Gesäuses. Ein drehbarer Liegestuhl macht den Genuss perfekt.


Die Hütte hat erst an diesem Tag aufgemacht. Ich bin der erste Gast hier oben in dieser Saison. Zusammen mit einer Schulklasse. Die Hütte ist unglaublich urig und die älteste im Nationalpark. Draußen stehen zwei Plumsklos und der Waschraum befindet sich ebenfalls draußen, aber zumindest überdacht. Doch gerade dieses einfache und urige macht die Hütte besonders gemütlich. Am Morgen bin ich die erste, die sich dieses Jahr ins Hüttenbuch eintragen darf. Über mir steht der Eintrag vom 16.10.16. 


Eine der schönsten Wanderungen bisher erwartet mich auf dem Weg zu Mödlinger Hütte. Die Wege durch den Wald sind sehr schön angelegt und immer wieder hat man Ausblicke auf die schönsten Felsformationen. Man hat fast den Eindruck, in den Dolomiten zu sein!

Auch die Tierwelt kommt nicht zu kurz! Gerade weil noch nicht so viele Wanderer unterwegs sind! Plötzlich raschelt es 10m vor mir im Gebüsch. Ich bleibe stehen und warte ab. Da springt eine Gams vor mir über den Weg! Einfach faszinierend. Schlangen sind nun zu genüge unterwegs. Alles Kreuzottern. Allerdings in allen möglichen Farben. Von rot bis schwarz ist alles dabei. 


Im Tal geht es eine Weile auf schmalen Pfaden am Johnsbach entlang. Wie alle Flüsse, fasst er zur Zeit unglaublich viel Wasser. Bei der Sonne schmilzt der Schnee unglaublich schnell weg. Baden ist bei diesem reisenden Fluss deshalb nicht möglich.


Auf der Mödlinger Hütte erwartet mich ein unglaublich nettes Hüttenteam. Sie sind neu und die erste Saison hier oben. Sehr bemüht, versuchen sie uns jeden Wunsch von den Lippen zu lesen. Noch geht es sehr ruhig zu und sie haben viel Zeit für ihre Gäste. Der Koch zaubert unglaublich gutes Essen in riesigen Mengen. Selbst für Wanderer ist es kaum zu schaffen. 

Einer der Aushilfen ist ein Rentner, den ich gestern schon im auf der Ennstaler Hütte getroffen habe. Er ist aus München vor einigen Jahren hierhergezogen. Bis auf einen Gipfel hat er jeden im Gesäuse schon mindestens einmal bestiegen. Er ist bei fast jedem Wetter zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs. Und seit gestern versucht er sich auf der Hütte als Unterstützung des Hüttenwirts. Ein sehr netter Mann, der viele Geschichten auf Lager hat. Da wird der Abend nicht langweilig.


So früh im Jahr bekomme ich mit, wie viel Arbeit dahinter steckt, dass ich meine Wanderung so reibungslos genießen kann. Auf der Ennstaler Hütte bekomme ich mit, was es heißt, die Hütte für den Saisonstart wieder herzurichten, ein Blick hinüber Richtung Hesshütte zeigt, dass 50 bis 60 Hubschrauberflüge notwendig sind für die Grundversorgung für den Start in die Saison, und auf der Mödlinger Hütte lerne ich ein Hüttenteam kennen, das die Bewirtschaftung einer Alpenvereinshütte wagt und mit unglaublich größer Motivation bei der Sache ist. 

Zwei Männer aus dem mödlinger Alpenverein, die ebenfalls auf der Hütte übernachten, machen sich ab heute an die Arbeit, die Wanderwege nach dem Winter wieder in Ordnung zu bringen. Man merkt, dass manche Wege in diesem Jahr noch nicht so häufig begangen wurden. Manche Markierungen fehlen, Bäume liegen quer oder Brücken sind kaputt. 


Als Vorbereitung auf den Nordalpenweg habe ich im Internet etwas recherchiert. Schaut man auf YouTube, so gibt es eigentlich nur zwei jüngere Männer, die sehr schöne Videos davon gedreht haben. Sie haben immer so 2 bis 3 Etappen zusammengefasst. Als ich nun auf der Mödlinger Hütte ankomme und gemütlich draußen in der Sonne sitze, sehe ich wie zwei jüngere Männer den Berg herauf keuchen. Mit ihren blauen Rucksäcken kommen sie mir irgendwie bekannt vor. Ich frage nach. Und tatsächlich: es sind die beiden aus den Videos. Wieder unterwegs um den nächsten Abschnitt zu gehen und zu filmen. Was für ein Zufall!


Der heutige Abstieg bringt mich hinunter ins Ennstal. Es ist keine sehr lange Tour. Das ist auch gut, denn die niederen Tauern erwarten mich. Ich habe noch keinen Plan, wie ich sie bezwingen kann. Die Karten auf meinem Smartphone sind zu klein und unübersichtlich um den ganzen Weg bis nach Villach zu planen. Große Wanderkarten müssen her! Doch das Tal ist zwar besiedelt, doch ziemlich dünn und Karten bekomme ich hier nicht! Die nächste größere Stadt ist Liezen. Das erste mal nehme ich ein Verkehrsmittel. Mit dem Zug fahre ich eine halbe Stunde gemütlich durch das Tal. Wie um zu prüfe, wie viel Gelassenheit und Geduld ich schon habe, fahren die Züge hier alle 4 Stunden und der nächste in 3:45 Stunden. Die Gedanken, hättest du dich doch mehr beeilt, musste die letzte Pause unbedingt sein, usw.... kommen auf. Der Satz in einer SMS von einer guten Freundin "du hast ja eh Zeit!" bringt mich wieder runter. Sie hat ja Recht. Ich habe Zeit! Alle Zeit der Welt, wenn ich möchte! Was bringt es, sich darüber aufzuregen! Möchte ich nicht genau das hinter mir lassen! Möchte ich nicht gelassen durch diese Wanderung gehen ohne dass mich so etwas aus dem Gleichgewicht bringt! Ich setze mich in die Sonne auf den Dorfplatz. Ich merke, wie ich ruhiger werde. Irgendwann stört mich das Warten gar nicht mehr. Erste Lektion in punkto Gelassenheit gelernt!


Liezen ist eine kleine Stadt. Was sage ich, für die Verhältnisse hier fast eine Metropole. Schließlich hat die 6.000 Einwohner Gemeinde zwei große Einkaufspassagen, die zusammen so groß sind wie das große Einkaufszentrum Ettlinger Tor in Karlsruhe. Ein riesiges Schoppingparadies. Zum Glück deutlich leerer als das Ettlinger Tor. Ich betrete einen Buchladen. Und wieder erlebe ich die unglaubliche Hilfsbereitschaft der Menschen hier. Die Buchhändlerin stellt den ganzen Laden auf den Kopf, um jede Karte aus dem letzten Winkel zu ziehen, die mir irgendwie behilflich sein könnte. Schließlich finden sich zwei passende Karten.

Im Ort frage ich einen Einheimischen nach einer Unterkunft. Oben, c.a. 20 zu Fuß den Berg hoch, sei eine günstige schöne Pension. Eine Frau vermiete dort vier Zimmer. Oben angekommen sind nur zwei Gäste und die beiden Söhne der Inhaberin da. Es stellt sich herraus, dass sie seit längerem keine Zimmer mehr vermieten und die "Gäste" schon seit mindestens einem Jahr hier wohnen, vor allem unter der Woche, weil sie hier in der Nähe arbeiten. Einer der Söhne druckt mir aus dem Internet eine Liste mit Unterkünften und Telefonnummern aus, berät mich und macht telefonisch eine Unterkunft klar. Super nett! Ich sitze mit ihnen und den "Gästen" noch eine halbe Stunde gemütlich im Hof und möchte dann mich wieder auf dem Weg hinunter machen. Da sagt der eine zu mir, die Pension sei schwer zu finden und fahre mich dort hin. Er bleibt so lange im Auto sitzen, bis ich ihm das ok gebe, dass mit dem Zimmer alles klar geht. Das ist schon Wahnsinn, wie die Leute zum einen interessiert an meinem Vorhaben sind, und zum anderen wie unglaublich hilfsbereit! 

Erster Blick ins Gesäuse
Erster Blick ins Gesäuse
Blick von der Ennstaler Hütte ins Gesäuse
Blick von der Ennstaler Hütte ins Gesäuse
Blick von der Ennstaler Hütte in die Voralpen
Blick von der Ennstaler Hütte in die Voralpen
Abenstimmung auf der Mödlinger Hütte
Abenstimmung auf der Mödlinger Hütte
Abendstimmung auf der Ennstaler Hütte
Abendstimmung auf der Ennstaler Hütte

Orientierungslauf in den Ybbstaler Alpen

Für alle Zahlenfreunde eine kleine Zwischenbilanz:

Strecke: 230 km

Aufstieg: 7000 hm

Abstieg: 6800 um

10 Gehtage

57 Stunden reine Gehzeit 

1 Pausetag 

1 Regebtag 

Und einige Liter Schweiß ;)


Da ich schon am vierten Tag den Nordalpenweg und somit meine geplante Route verlassen habe, muss ich mir nun meine Strecke über weniger hohe Wege zusammensuchen. Doch durch die Hilfe einiger Einheimische gelingt mir das super gut. Ich finde einige wunderschöne Ecken, von denen ich noch nie gehört habe.


Mein erster Stopp heißt nach Mariazell die Vorderötscherhütte im Naturpark Ötscher. Der Weg führt mich durch eine wilde und sehr beeindruckende Schlucht, den Ötschergraben. Da der viele Schnee in höheren Lagen am wegschmelzen ist, ist der Bach gut gefüllt und auch die vielen Wasserfälle am Wegesrand sind sehr beeindruckend. Der Weg führt mich auf einigen Holzbrücken und Seilen gut gesichert durch die Schlucht. Teilweise ist er extra in den Fels gesprengt worden. Sehr beeindruckend und bis jetzt ein absoluter Highlight.


Auf der Hütte bin ich nicht der einzige Gast. Eine Familie mit einer Tochter in meinem Alter ist auch hier. Ich freue mich über ein bisschen Gesellschaft. Sie sind sehr offen und redselig. Doch dann gehen sie mir doch gehörig auf die Nerven. Während des Essens wird die ganze Zeit über alles mögliche geschimpft: es liege zu viel Plastik und Müll in den Bergen, sowieso benutze der Mensch zu viel Plastik. Sie sind, wie es sich herausstelherausstellt, Umweltaktivisten, die gegen Plastik protestieren. Das ist im Grunde ja lobenswert. Doch ihre aggressive und unverständliche Art gegenüber anderer Meinungen und Argumente ist doch sehr extrem und schwierig.

Sei es damit nicht genug, geht es weiter mit: "Ausländer gehören raus aus dem Land! Es kann doch nicht sein, dass die Bildung in der Schule wegen ihnen leider!" und: "Die Aufarbeitung des dritten Reiches sei in Österreich noch nicht passiert! Das müsse dringend geschehenen!" und: " Der Job im Altersheim sei nur anstrengend und alle Menschen so undankbar!" und: "Das Leben ist sowieso blöd!" Und so weiter... Mir geht das irgendwann ziemlich auf die Nerven. Ich bin doch hier, um die Natur zu genießen und Ruhe zu bekommen und sicher nicht um mich über Gott und die Welt auszulassen. Schließlich verlasse ich den Tisch und genieße die Ruhe draußen auf der Terrasse. Der Hüttenwirt kommt zu mir. Er kann mich gut verstehen und wir genießen den Abend.


Er erzählt mir, dass hier vor knapp drei Wochen zwei Meter Schnee lagen. Sie waren total eingeschneit und brauchten zwei Tage um sich einen Weg zum 50 Meter entfernten Schuppen zu graben, um Feuerholz zu holen. Was für Saisonstart! So etwas gab es im Mai wohl statistisch seit über 100 Jahren nicht mehr. 


Der weitere Weg führt mich nach Lunz am See. Ein sehr schöner Ort, der idyllisch am See, umgeben von hohen Bergen, liegt! Auf den Rat der sehr netten Wirtin hin- großes Lob an das wunderschöne moderne Zimmer und die nette Betreuung!- gehe ich nun auf dem Ybbstaler Radweg über saftige grüne Blumenwiesen mit einigen blühenden Narzissen bis nach Hollstein an der Ybbs. Eine sehr schöne eher entspannte Etappe, obwohl 27 km Teer auch nicht so toll für die Füße sind.


Heute soll es weiter über den Frenzsattel gehen. 5 Stunden sind angegeben. Also auch entspannt, obwohl es recht warm, ja fast heiß, ist. Nach zwei Stunden erreiche ich nach jeder Menge Forstwege einen schönen Waldpfad. Ich folge dem immer schmaler werdenden Pfad in den Wald hinein. Immer den Markierungen hinterher. Doch irgendwann merke ich, dass keine Markierung mehr zu erkennen ist und ein Pfad eigentlich auch nicht. Mein GPS bestätigt mir meinen Verdacht. Ich habe den Pfad verloren. Also schlage ich mich in Richtung Pfad zurück durch. Doch keine Chance. Ich finde ihn nicht. Nun hilft mir dann doch die Orientierungsgabe, die ich durch den Orientierungslauf gelernt habe. Nach einiger Zeit lande ich wieder auf dem Forstweg. Ich starte einen zweiten Versuch. Hoch konzentriert Folge ich den Markierungen. Doch wieder hört der Pfad auf. Gibt es ihn überhaupt noch? Ich bezweifle es. Naja wenigstens beschert mich dieser Abstecher einen kleinen 'Orientierungslauf' durch den wunderschönen Wald der Ybbser Alpen. 


Ich schaue auf die Karte. Es gibt tatsächlich eine Alternative- ein Forstweg. Hilft ja nichts. Nach 45 Minuten Umweg erreiche ich den Sattel. Die Wegsucheei hat über 1 1/4 Stunden gedauert. Mittlerweile bin ich schon 4 1/2 Stunden unterwegs, statt 2 1/2. Wenigstens kann ich den Weiterweg nicht verfehlen! Alles Forstwege! Doch diese haben auch noch eine Überraschung zu bieten! Zwei Kreuzottern, die sich auf dem Weg sonnen. Erschöpfter als gedacht komme ich in Altenmarkt bei St. Gallen an. Trotzdem ein toller Tag! Gebucht habe ich so wie gestern nichts. Aber das ist kein Problem! Urlauber gibt es noch wenige.


Morgen geht es in den Nationalpark Gesäuse und somit wieder auf die ursprüngliche Route. Nur deutlich schneller, als gedacht! Endlich wieder höhere Berge!

Durch den Ötschergraben
Durch den Ötschergraben
Durch den Ötschergraben
Durch den Ötschergraben
Lunzer See
Lunzer See
Blick ins Gesäuse
Blick ins Gesäuse
Eine Kreuzotter
Eine Kreuzotter

Ja, ich bin ein Pilger!

Die letzten Tage wurde ich von fast allen gefragt, ob ich nach Mariazell pilgern würde. Doch ich verneine. Nein, man kann auch so hier Wandern gehen, ohne nach Mariazell zu pilgern! Mariazell liegt nicht auf meinem Weg! Doch nun, nach 6 Tagen, stehe ich hier vor der Kathedrale in Mariazell. Die letzten zwei Tage auf dem Pilgerweg unterwegs.


Doch von vorne! An meinem vierten Wandertag bin ich froh, als ich das Hotel in Miesenbach verlassen kann. Ich habe schlecht geschlafen. Die Heizung neben dem Bett ist voll aufgedreht. Ich kann sie nicht runter drehen. Das Fenster kann ich nicht aufmachen, denn das Hotel liegt an der Hauptstraße. 


Früh um halb acht steige ich bei tollem Wetter auf. Ich habe eine tolle Sicht über das Tal. Die wenigen Ortschaften sind klein und bestehen aus ein paar einzelnen verteilten Häusern und Höfen. Ich begegne einer uralten Bäuerin mit einem Weidenkorb auf dem Rücken beim Reisig sammeln. Ich fühle mich in der Zeit zurückversetzt.


Über die dürre Wand wandere ich am Kamm entlang und habe immer wieder einen grandiosen Ausblick. Auch auf dem Schneeberg. Dieser Anblick stimmt mich nachdenklich. Es liegt doch noch einiges an Schnee dort oben.


An der Edelweißhütte begegne ich drei Tageswanderern, die mich zusammen mit den sehr netten Hüttenwirten super beraten. Die Besteigung des Schneebergs ist zu gefährlich. Auch alle nachfolgenden 2000er sind noch zu hoch. Also muss ein Plan B her. Diesen finde ich auf dem Pilgerweg nach Mariazell. Ich werde nun also doch zum Pilger. 


Übernacht bin ich der einzige Gast und habe das Lager für mich alleine. Abends werde ich von den Hüttenwirten verwöhnt und genieße das Feuer im Ofen in der warmen Stube. Sehr gemütlich!


Jeder, der denkt, der Pilgerweg sei gemütlich, der irrt sich gewaltig! Die fünfte Etappe fordert einiges von mir: 34km, fast 1000hm im Aufstieg und noch mehr im Abstieg! Dazu ist es wieder schön warm und zunehmend immer schwüler. Die Sonne knallt von oben. Ich komme gut voran. Es geht durch das wunderschöne Preintal. Der Weg steigt gemächlich an. Kurz vor dem höchsten Punkt biege ich auf einen Pfad in den Wald ein. Der ganze Pfad ist übersäht von Holzschildern und Kreuzen. Alles von Pilgern, die hier schon unterwegs waren. Ein eindrucksvoller Moment, der mich sehr berührt! So viele haben sich hier schon auf den Weg nach Mariazell und auf die Suche nach Gott gemacht. Auch ich betrachte die vielen Kapellen am Weg und fühle mich wohl. Vielleicht bin auch ich auf der Suche nach Gott.


Oben, an der höchsten Stelle angekommen, bin ich total verschwitzt. Ich wälze mich in einem kleinen Schneefeld. Es ist so schwül und mir ist total heiß. Ich lange nach meinem Trinkschlauch. Ein Zug und- oh Schreck- meine Trinkblase ist leer! Ich habe nur noch meinen Notfall halben Liter. Ich trinke, es geht nicht anders. Ich habe nur noch 200 bis 300ml für 14 km. Und die Sonne brennt. Ich merke, wie ich immer durstiger werde. Ich muss mein Wasser gut einteilen. Ich biege ab Richtung Frein an der Mürz, wo ich übernachten möchte. Nach einer Stunde nach dem Abzweig ein Schild: Weg gesperrt, betreten verboten! Forstarbeiten! Was nun? Umdrehen geht nicht. Ich bin seit dem Abzweigt mindestens 300hm abgestiegen. Ich kann kräftemäßig nicht umdrehen. Das schaffe ich nicht! Ich ignoriere das Schild und gehe weiter. Die Forstarbeiter ignorieren mich zum Glück und sagen nichts. Vielleicht sehen sie, wie kaputt ich bin. 


Endlich am Gasthof angekommen, bekomme ich sofort ein Zimmer. Erst einmal schütte ich einen Liter Wasser mit Mineraltabletten in mich hinein. Mit trinken hat das nichts mehr zu tun. Mein hochroter Kopf nimmt wieder normale Farbe an und mir geht es besser. Das war schon eine Grenzerfahrung!


Die gestrige Etappe hat auch auf den heutigen Tag Auswirkungen. Jeder Höhenmeter macht mir zu schaffen. Wieder ist es schwül! Die 20km nach Mariazell reichen mir völlig. Wasser habe ich genug.


Mit jedem Kilometer wächst die Vorfreude auf Mariazell. Ich kann es kaum erklären, aber sie treibt mich an. Als ich die Kathedrale erreiche, bin ich überwältigt. Ein unvorstellbares Glücksgefühl überkommt mich. Ich habe es bis hierher geschafft. Ganz alleine! Es ist, als ob ich mein erstes Zwischenziel erreicht habe. Ein guter Zeitpunkt, um einen Tag Pause zu machen! Mein Körper braucht dies! Außerdem soll es morgen regnen.

Ausblick von der dürren Wand
Ausblick von der dürren Wand
Der Schneeberg
Der Schneeberg
Kleine Kapelle am Mariazellerweg
Kleine Kapelle am Mariazellerweg
Jede Menge Zeichen von Pilgern, die schon hier waren
Jede Menge Zeichen von Pilgern, die schon hier waren
Blick ins Lahntal
Blick ins Lahntal
Kurz vor Mariazell
Kurz vor Mariazell
Vor der Kathedrale in Mariazell
Vor der Kathedrale in Mariazell

Tiersafari im Wienerwald

Jeden Tag habe ich bis jetzt eine Person getroffen, die eine große Weitwanderung gemacht hat oder wie ich gerade macht. Unglaublich! Denn viele Menschen habe ich nicht getroffen. 


Gestern beim Frühstück erzählt mir der einzige andere Gast eine unglaubliche Geschichte: Er wollte vor ein paar Jahren mit dem Fahrrad nach Spanien und dann weiter mit der Fähre nach Amerika. Am Mittelmeer an der Grenze zwischen Frankreich und Spanien an den Pyronäen will er einen Wandertag einschieben. Also fährt er zu einer Hütte mit dem Rad und schließt es am Blitzableiter an. Er besteigt einen 3000er und genießt die schöne Abwechslung. Aber nicht lange! Als er zur Hütte zurückkommt, ist das Fahrrad samt Blitzableiter weg! Was nun! Nach zwei Tagen der Entschluss: dann geht er eben zu Fuß weiter. Er besorgt sich die Ausrüstung und überschreitet im Winter den gesamten Pyronäenhauptkamm in 3 Monaten, bis er keinen Cent mehr übrig hatte. Doch er hatte es geschafft! Trampend geht es zurück nach München!


Nach dem Frühstück steige ich zum Peilstein auf und erreiche mein erstes Gipfelkreuz. Doch nicht auf dem meist begangensten Weg. Denn der führt über 100m höhe Wände. Immerhin hat der Peilstein über 750 verschiedene Kletterrouten. Doch heute bin ich ganz alleine hier oben. Nein, nicht ganz! In einer kleinen Hütte neben einer Boulderwand sehe ich zwei junge Leute. Ich nicke ihnen freundlich zu. Keine Reaktion. Sie sind wohl beschäftigt und wirken sehr konzentriert auf das Seil und den Klettergurt in ihrer Hand. Wahrscheinlich eine Einführung in die Sicherungstechnik. 


Ich lege mich auf die Bank und genieße die Ruhe und lausche den Vögeln. Auf einmal kommt ein Auto mit zwei Handwerkern. Sie gehen zum Peilsteinhaus. Doch das ist verschlossen. Sie fragen mich, ob ich jemand gesehen habe. Ich deute auf die kleine Hütte. Sie gehen dorthin, klopfen und kommen lachend auf mich zu: Das sind nur Puppen! Ich lache mit. Dann bin ich tatsächlich auf Schaufensterpuppen reingefallen! Sie gehören zu den Lehrpfad über das Klettern, der hier lang führt.


Gemütlich komme ich früh in der Pension zur Bruthenne in Weissenbach an, nichts ahnend, dass der heutige Tag dafür umso länger werden soll. Die netten Wirtsleuten helfen mir eine Unterkunft für heute zu finden. Doch alles scheint voll oder vor allem Ruhetag zu haben. Die nächste Unterkunft, die in meiner Richtung liegt, allerdings nicht auf dem Nordalpenweg, ist etwa 8.5 Stunden zu Fuß entfernt. 


In der Pension sind noch drei andere Wanderer. Zwei davon Pilger. Ich werde auch immer gefragt, ob ich ein Pilger bin. Das scheinen hier wohl die meisten Wanderer zu sein! Und tatsächlich noch ein anderer auf dem selbeselben Weg wie ich, dem Nordalpenweg. Er will in zwei Monaten nach Bregenz Wandern!


Es hilft nichts, früh geht es in den strömenden Regen hinaus. Es gießt in Strömen und hört erst nach 5 Stunden auf. Doch das weiß ich noch nicht. Zu Beginn ist das Wandern im Regen angenehm und nicht weiter störend. Je höher ich komme, desto kälter wird es. Weit von null Grad ist die Temperatur nicht mehr entfernt! Die Luft ist unglaublich feucht und nach einiger Zeit bin nicht nur ich klitschnass, sondern auch der Inhalt meines Rucksacks. Trotz Regenhülle! Pause machen geht kaum. Nach 5 Minuten friere ich in meinem nassen Sachen in der Kälte. Also weiter geht's! Insgesamt habe ich heute nicht einmal eine halbe Stunde Pause gemacht. Ich bin die 28 km und über 1000 Höhenmeter quasi am Stück durchgelaufen. Das hat mich doch ganz schon angestrengt! Vor allem die letzten 5 km Teer waren furchtbar.


Ich bin noch immer im Wienerwald. Doch die Hügel werden immer höher und die tief eingeschnittenen Täler lassen sie noch höher erscheinen. Den Schneeberg, den östlichsten 2000er der Alpen habe ich noch nicht gesehen. Dafür war das Wetter zu schlecht. Übermorgen soll er schon bestiegen werden. 


Heute begegne ich der Tierwelt im Wienerwald. Neben unglaublich dicken und teilweise bis zu 20 cm langen Nacktschnecken in allen Farben von weiß über braun bis schwarz und Blindschleichen, sehe ich Wild. Zuerst mindestens 20 Rehe, die vor mir wegrennen. Später noch mehrere Rehe, die einzeln unterwegs sind. Dann einen Hasen und sogar einen Fuchs! Ich hab noch nie einen Fuchs gesehen. Ich bleibe stehen und er rast 100 m vor mir über den Weg. Mann, ist der schnell!


Morgen geht es in die Berge zu der ersten Hütte. Ich freu mich schon drauf!

  

Eine Höhle am Wegesrand
Eine Höhle am Wegesrand
Mein erstes Gipfelkreuz- der Peilstein
Mein erstes Gipfelkreuz- der Peilstein
Blick zurück- den hohen Meindling habe ich heute bestiegen
Blick zurück- den hohen Meindling habe ich heute bestiegen
Schöne Waldwege
Schöne Waldwege

Get fit- start your training

Get fit- start your training, lese ich vor einem Fitnessstudio auf dem Weg mit dem Bus zu meinem Ausgangsort Perchtoldsdorf. Irgendwie passt das. Die letzten Wochen habe ich nicht trainiert. Außer dem den üblichen durch die Stadt radeln oder spazieren, habe ich nichts gemacht. Also steht der heutige Tag unter dem Motto start your training. Am besten gemütlich machen und nicht hetzen!


Mein Wanderführer beschreibt den Weg etwa so: Folge einfach immer nur den Markierungen, dann kann nichts passieren. Nach 5 Minuten sind alle Markierungen verschwunden. Also es hilft nichts: Handy raus und GPS an. Kurz darauf das gleiche Spiel! Also lieber Wanderführer: so einfach wie du dir das vorstellst ist das leider nicht!


Durch einen dichten Bärlauchwald- ich hätte nie gedacht, dass ein ganzer Wald lückenlos von Bärlauch bedeckt sein kann, geht es zur Kammersteiner Hütte mit grandiosen Blick über den Wienerwald. 


Obwohl viele Wanderer unterwegs sind, falle ich auf. Keiner hat einen großen Rucksack auf. Manche glotzen mich an, als ob sie noch nie einen Fernwanderer gesehen haben. Ich gehe an ihnen vorbei und grüße. Keine Antwort, nur ihr Blick geht mit mir mit. Wie wenn sie Tiere im Zoo anstarren.

Das ist aber zum Glück nicht die Mehrheit. Fast immer, wenn ich keine Ahnung hatte, wo der Weg hingeht, steht plötzlich ein Wanderer vor mir und zeigt mir den richtigen Weg. Als ob sie alle dazu beauftragt worden sind, mir auf den Weg zu helfen.


Immer wieder werde ich angesprochen und mit positiven Rückmeldungen unterstützt oder mit abenteuerlichen  Storys über das Wandern unterhalten. So fühl ich mich alles andere als alleine auf dem Weg.


Nach etwa 25 km komme ich noch ziemlich gut erhalten, viel besser als ich erwartet habe, an. Wer wandert weiß, dass nach dieser Strecke, leider mit viel Asphalt und Schotterwegen, blasenlose und kaum schmerzende Fußsolen fast ein Wunder sind. Vielleicht bin ich ja doch schon fit und brauch das trainig nicht. Also nutze ich dieses Wunder aus und bewundere noch die Tropfsteinhöhle in Alland. Ein Rentner führt uns hindurch. Diese Höhlentour ist fast wie mein erster kleiner Klettersteig. Alles ist über Leitern gesichert und sehr eng.


In einem größeren Raum, in dem alle 15 Lersonen sehr eng kuschelnd reinpassen, demonstriert uns der nette Herr die absolute Dunkelheit. Plötzlich hören wir ein atemberaubendes Brüllen. Ein furchtbarer Schreck zieht durch die Gruppe! Einige schreien.


Langsam geht das Licht wieder an. Der Höhlenführer grinst: Das war unser Höhlenbär. Seine Lampe leuchtet langsam auf den Boden und siehe da, unter unseren Füßen unter dem Gitter liegt ein Bär! Allerdings 10.000 Jahre alt und doch ziemlich abgemagert!


Den Abend lasse ich nun im riesengroßen Zimmer meiner Pension ausklingen. Ich muss diesen Luxus noch einmal richtig genießen.