Höhen und Tiefen

Es ist mal wieder Zeit für eine kleine Zwischenbilanz:

Strecke: 1430 km

Aufstieg: 70.000 hm

Abstieg: 69.000 hm

76 Gehtage

418 Stunden reine Gehzeit 

13 Ruhetage

2 Regenwandertage


Die folgenden Tage machen es mir wirklich nicht leicht. Nachdem die erste Zeit auf dem GTA eher angenehm kühl und neblig war, wird es nun richtig heiß und schwül. Die Anstiege und die Abstiege werden noch länger und steiler. Jeden Tag geht es zuerst über 1000 hm hoch, um auf der anderen Seite dasselbe wieder runter zu dürfen. Das ist eigentlich kein Problem mehr für mich. Doch die Strecken sind sehr steil und sowohl die Temperatur, als auch die Luftfeuchtigkeit viel zu hoch. Eines wird mit hier wieder sehr deutlich: der GTA ist bestimmt kein Wanderweg, auf dem man Strecke machen kann! Denn die Entfernung, die man in der Luftlinie zurücklegt, beträgt nur zwischen 5 und 7 km. Und dazwischen ist immer ein hoher Pass.


Langsam fängt mich das an zu nerven. Jeden Tag schleppe ich mich bei dieser Affenhitze hoch auf den Pass, nur um auf der anderen Seite wieder endlos hinunter gehen zu dürfen. Eine Sicht hab ich nur kurz auf dem Pass, aber nur wenn die Wolken gnädig sind. Dann geht's wieder runter. Höhenwege Fehlanzeige! Immer dieses ständige auf und ab. Die Höhenprofile sind immer das gleiche: ein großer Zacken. Die letzten 5 Tage war das besonders hart. 


Und gestern habe ich neben den ganzen Hoch und Tiefs des Wanderwegs auch einen mentalen Tiefpunkt! Da kamen einfach zu viele Faktoren zusammen. Die Basis bilden natürlich das Wetter und die Höhenmeter. Vor zwei Tagen übernachte ich in einem Posto Tappa. Die Bar, in der gegessen wird, ist schmuddelig. Umso überraschender ist das gute Abendessen. Das Frühstück ist aber alles andere als gut. Vieles ist alt und manches meiner Meinung nach auch verdorben. Die Folge: Verdauungsprobleme, Durchfall, Magenkrämpfe. Nicht nur bei mir. Die beste Voraussetzung füreine besonders lange Tour! 

Dementsprechend erschöpft war die Ankunft in der besonders guten Unterkunft in San Lorenzen. 12 verschiedene Platten mit typischem Essen für dieses Tal werden aufgetischt. Super lecker! Und eine weitere Überraschung erwartet mich hier: ich treffe eine Familie wieder, die vor über einer Woche in Carcoforo den GTA verlassen hat. Ich hätte nie gedacht, sie wieder zu treffen! Es ist sehr beeindruckend. Sie sind mit zwei Kindern mit 7 und 9 fast zwei Wochen zu Fuß unterwegs! 


Laut Wanderführer sollte eine gemütliche Etappe folgen. Dies führt zu einem großen Fehler: Trödeln beim Frühstück. Um 9:30 Uhr gehen wir los. Viel zu spät! Es ist mittlerweile wieder knalle heiß. Schon der Aufstieg macht mir zu schaffen. Kein schöner Wanderwegführt führt den Wald hinauf, sondern ein erdiger Pfad geht steil und ohne Serpentinen gerade hoch. Pitschnass erreichen wir den höchsten Punkt. Hoffend, dass das schlimmste Stück vorbei ist. Doch der Abstieg ist dermaßen steil und teilweise ausgesetzt, dass man auf keinen Fall ausrutschen darf. Von der Hitze sowieso schon völlig fertig, gibt mir das den Rest! 


In der Unterkunft angekommen, habe ich das erste Mal auf meiner ganzen Tour überhaupt kein Bock mehr. Wie mich die letzten Tage platt gemacht haben! Ich verfluche nur noch den GTA mit seinen unglaublich steilen Abschnitten. So ein Auf und Ab kenne ich aus dem Ostalpen nicht. Nicht diese Steilheit! Und der Rucksack fühlt sich auch immer schwerer an! Höchste Zeit für einen Tag Pause! Ich bin auch schon wieder 15 Tage ohne Pause gegangen. Auch wenn es schwerfällt, manche netten Bekanntschaften somit zu verlassen. 


Meinen freien Tag verbringe ich größtenteils hinter dem Wasserfall oberhalb von Noasca. Hier ist es angenehm kühl! Und von hier aus sieht die Welt auch schon wieder anders aus. Ein kleines bisschen Lust aufs Weitergehen bekomme ich schon wieder. Heute bekomme ich wieder Begleitung. Wie ich mich schon drauf freue! Das wird meine Motivation hoffentlich wiedewieder auf das alte Niveau bringen. 


Trotz meinem mentalen Tief, ist die Tour über die Pässe natürlich trotzdem ein landschaftliche tolles Erlebnis. Schön ist es hier auf alle Fälle! Dies soll niemanden davor abschrecken, diesen Abschnitt zu gehen! Der Gran Paradiso Nationalpark ist ein sehr schönes Wandergebiet mit einigen Seen, von denen man auf dem GTA allerdings nicht so viele zu Gesicht bekommt. 


In den letzten beiden Abschnitten habe ich immer vor lauter anderen Highlights vergessen, die Tierwelt zu erwähnen. Höchste Zeit dies nachzuholen. Denn die hat hier auch einiges zu bieten! Ein Blick in die Luft zeigt mir mehrere Male Adler und einen Bussard. Steinbock, Gämsen und ein Murmeltier habe ich hier auch schon zu Gesicht bekommen. Schlangen gibt es natürlich auch. Drei Vipern haben sich vor mir aufgebäumt und angezischt. Die sind schon aggressiver als Kreuzottern Und lassen sich durch Trampeln nicht ganz so schnell vertreiben. Und das absolute Highlight: schon am Anfang auf dem Weg nach Rima sehe ich einen kleinen Bären. Das ist schon extrem selten und ein tolles Erlebnis! Lange habe ich nicht Zeit, ihn zu beobachten. Er ist sehr schreckhaft und schnell durchs Gebüsch verschwunden.