Auf alten Walserwegen durch den Naturpark Alta Valsesia

Nun bin ich endlich auf dem GTA! Ich habe nun einen Fernwanderweg, nach dem ich mich richten kann. Das tägliche, teilweise stundenlange Grübeln über der Karte und das Überlegen, was als nächste Etappe schön wäre, fällt erst einmal weg. Auch das Unterkunftsproblem gibt es hier nicht. Am GTA liegen sehr viele Unterkünfte, viel mehr als der kleine Haufen von GTA-Wanderern braucht. Ich freue mich richtig, dass auch andere Wanderer unterwegs sind, aber überfüllt ist der Weg keinesfalls. In der vollsten Unterkunft waren wir immerhin zu zwölft. 


Nach einem hoffentlich letztem sehr langen Straßenhatscher erreiche ich mit dem Ort Forno das Gebiet der Walser. Das Leben und der Trubel im Tal scheint unglaublich weit weg. Die Ruhe der Berge hat mich wieder. Weiter folge ich dem Wanderweg bis nach Campello Monti. Viele kleine Ortschaften liegen dazwischen. Alle sehr alt, verwinkelt und meistens auch verlassen. Auch in Campello Monti lebt kein Mensch mehr das ganze Jahr lang. Nur noch im Sommer, wenn Touristen kommen und Almen bewirtschaftet werden. 


Mit diesem Ort erreiche ich den GTA. GTA steht für Grande Transversata delle Alpi. Der GTA wurde nach dem französischen Vorbild des GR5 ins Leben gerufen. Dieser Weg führt durch die gesammten französischen Alpen. Ein Ziel war es, die Landflucht der Bauern und der dort lebenden Menschen zu stoppen und ihnen durch den Wandertourismus eine neue Lebensgrundlage zu schaffen. Damit sollten die alten Dörfer und deren Kultur gewahrt werden. Dieser Plan hat tatsächlich gut funktioniert und einige Franzosen wandern seither auf dem GR5 und tragen dazu bei, dass immer noch einige Menschen in verlassenen Tälern überleben können. 

Auch auf der italienischen Seite war die fortschreitende Entvölkerung der Alpentäler deutlich zu spüren. Dadurch entstand die Idee, einen Wanderweg durch die piemontesischen Westalpen durch die 'vergessenen' Alpentäler zu erschließen. Die meisten Wanderwege existierten bereits. Unterkünfte wurden sehr wenige neu gebaut. Meistens übernachtet man in kleinen abgelegenen Alpendörfern. Doch ein Problem gab es: im Gegensatz zu den Franzosen sind die Italiener kein Wandervolk! So war der Erfolg zu Beginn doch sehr gering. Mit der Zeit machten sich immer mehr Deutsche auf den Weg, den GTA zu gehen. Auch heute sind so gut wie nur deutschsprachige Wanderer (aus Deutschland, Österreich und der Schweiz) unterwegs. Mittlerweile führt der GTA vom Griespass in der Schweiz bis ans Mittelmeer und zählt 1.000 km und 65.000 Höhenmeter.


Da der Weg nicht überlaufen ist und es viel mehr Unterkünfte gibt, als eigentlich erforderlich, herrscht auch ein reger Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Wirten. 2014 sei ihre Hütte zwei Tage vor Saisonbeginn abgebrannt, erzählt die Wirtin der Alpe Baranca. Wahrscheinlich Brandstiftung! Sie hat den großen Vorteil in den Wanderführern als offizielles Etappenziel aufgeführt zu werden und hat deshalb normalerweise viele Gäste.

Allesamt geben die Menschen sich große Mühe, mit ihren teilweise nur einfachen Mitteln und ihrer unglaublichen Freundlichkeit, die Wanderer auf ihrem Weg zu verwöhnen! Vor allem das Essen ist einsame Spitze. Meist einfache Älplerkost, aber möglichst alles aus dem eigenen Garten, Käse und Wurst aus eigener Herstellung oder von Bauern aus der Region und vor allem mit sehr viel Liebe gekocht. So hatte ich einmal 6 Vorspeisen und drei weitere Gänge folgten. Ein anderes mal 5 sehr köstliche Gänge mit Saletbuffet, Ministrone, Tagliatelle mit Pilzen, selbstgemachter Kartoffelbrei mit Fleisch oder Gemüsebratling und Karamellcreme. Verhungern wird man hier bestimmt nicht!


Dieser Weg lohnt sich aber nicht nur wegen dem köstlichen Essen. Man lernt auch das traditionelle, aber auch sehr harte Leben der Menschen in diesem Gebiet kennen. Auf einer Etappe sehe ich einen Bauern, der auf der Alm händisch seine Kühe melkt, die Milch in großen Eimern zu seinem kleinen Steinhaus trägt und dort seinen Käse herstellt. Das ist alles noch Handarbeit!


Die kleinen Walser Dörfer sind meist sehr schön hergerichtet und es ist ein Genuss, durch die schmalen Gassen zu streifen, die schönen Häuser mit dem vielen bunten Blumen auf dem Balkon und im Garten zu betrachten und in die prunkvollen Kirchen zu schauen. 

Einkaufsmöglichkeiten gibt es meistens nur beim Bauern. Stimmt nicht ganz: in dem einen Ort rollt pünktlich um 16 Uhr hupend ein kleiner Lastwagen, wie ein Marktstand, auf den Parkplatz vor dem Dorf. Plötzlich ist das halbe Dorf auf den Beinen. Dieser kleine, mobile Laden hat von Lebensmitteln bis Waschmitteln alles, was man braucht. Eine kleine Attraktion für uns Wanderer! 


Auf den saftigen grünen Wiesen weiden auch noch andere Tiere als Kühe. Neben Pferden verlangen vor allem die Schafsherden alle Aufmerksamkeit des Wanderers. Und das nicht wegen den Schafen, sondern viel mehr wegen den Herdenhunden. Hirten sind meistens keine vor Ort. Die Hunde sind dazu da, um die Tiere vor Wölfen und Bären zu schützen. Und, dass sie ihren Job mit sehr viel Ehrgeiz und pflichtbewusst erledigen, merkt auch der Wanderer sehr schnell. Schon aus der Ferne wird man laut kläffend begrüßt. Wagt man sich zu nah heran, rennen die Hunde einem entgegen. Steht die Herde gerade mitten auf dem Wanderweg ist das durchaus eine sehr unangenehme Sache! Deshalb bin ich froh, dass ich die beiden Male, die ich an einer Herde vorbei oder durch sie hindurch musste, mich anderen Wanderern anschließen konnte.


Der Parco Naturale delle Alta Valsesia ist ein Gebiet, das durch sehr enge Täler und steile Berge geprägt ist. Es ist eine sehr wasserreiche Gegend, die deshalb sehr grün ist. Einige tolle Gumpen laden zum baden oder die Füße ins Wasser hängen ein. Ein Kontrast zu den teilweise sehr trockenen und verdorrten Landschaften auf meiner Reise. Der Weg führt mich die letzten Tage immer näher an das Monte Rosa Massiv heran, bis ich gestern Luftlinie nur noch 7 km entfernt bin. Leider lassen die Wolken nur einen kurzen Blick auf die höchsten Gipfel zu. Trotzdem ein atemberaubender Blick!


Gestern war in dieser Gegend ein Berglauf. Und was für einer! Schon frühmorgens kommen mir die Läufer entgegen, die eine Strecke, für die ich 5 Stunden brauche, gerade einmal 50 min benötigen! Insgesamt geht der Lauf über 42 km und hat 3.600m jeweils im Aufstieg und im Abstieg. Was für eine wahnsinns Leistung! Ich habe dafür 3 1/2 Tage gebraucht!