Als ob Klöster eine anziehende Wirkung auf mich hätten, findet nach drei Tagen schon der nächste Ruhetag im Santuario Sant Anna statt. Allerdings auch dieses Mal eher ungeplant. Morgens starte ich früh, um das Rifugio Malinvern möglichst schnell zu erreichen, denn ab Mittag sind Gewitter gemeldet. Schon beim Losgehen ist das Kloster umgeben von dichten Wolken. Die meisten sind harmlos. Doch eine dicke schwarze Wolke hängt genau in meiner Richtung. Ich gehe genau auf sie zu. Nach einer guten halben Stunde erreiche ich den ersten Pass. Mittlerweile mitten im Nebel. Um mich herum ist alles dunkel. Und hinter mir wird heute wohl keiner mehr kommen. Es sind ja keine GTAler außer mir unterwegs. Außerdem bin ich für starken Regen nicht ausgerüstet. Meine Schuhe sind mittlerweile ganz schön abgelaufen und haben Löcher. Wasserdicht, Fehlanzeige! Die nette ältere Dame an der Rezeption staunt nicht schlecht, als ich eine halbe Stunde später wieder zurück am Kloster bin und nach einem Zimmer frage.
Wie ich später erfahre, waren doch noch zwei andere an diesem Tag auf der gleichen Etappe unterwegs. Sie sind die ersten zwei Stunden allerdings anders gegangen. Deshalb habe ich sie nicht getroffen. Sie bestätigen mir, dass meine Entscheidung umzukehren, genau richtig war. Sie sind in einen heftigen Sturm mit viel Regen geraten.
Ich dagegen liege im Trockenen, schlafe noch mal richtig aus, und als Krönung des Tages tauchen sieben andere GTAler auf. Ich bin nun nicht mehr allein!
Einer (Fast-)Rentner Dreiergruppe aus Darmstadt schließe ich mich für eine Woche an und werde mit Grünkernsuppe und Gemüsebrühe aus dem Campingkocher an den schönsten Plätzen in den Seealpen verwöhnt. Langweilig wurde es mit diesen dreien nicht, wurde doch die meiste freie Zeit für stundenlange Skatspiele genutzt. Da bin ich mal wieder richtig zum Spielen gekommen.
Die erste Etappe nach dem Kloster führt das erste Mal nach Frankreich. Allerdings nur im Slalom um die Grenzsteine herum. Reste eines alten Stacheldrahtzauns zeugen davon, dass die Grenze nicht immer so leicht zu überschreiten war.
Ein Blick nach Frankreich zeigt, was auch schon die Karte vorhergesagt hat: das riesige Skigebiet Isola 2000. Zum Glück ist die Retortenstadt kaum zu sehen.
Glücklicherweise zweigt der GTA bald wieder nach Italien ab und mit Erreichen eines weiteren Passes betreten wir eine ganz besondere Landschaft. Wunderschöne Seen in einem Hochtal, umgeben von lauter hohen und schroffen Bergen. Die Seealpen sind ein wunderschönes, allerdings auch sehr schroffes Gebirge. Wiesenhänge gibt es nur wenige. Hier im westlichen Teil der Seealpen treffen wir außer den anderen GTAlern niemanden. Eine landschaftlich eindrucksvolle und sehr einsame Gegend!
Wie in vielen anderen Gegenden auch, dominiert hier ein Berg besonders: die Agentera. Mit 3292m der höchste Berg der Seealpen. Daneben der Monte Gelàs mit dem südlichsten Gletscher der Alpen. Und das gerade einmal 40km entfernt vom Mittelmeer!
Mit dem Übergang zum Rifugio Valasco betreten wir den Naturpark Alpe Marittime und damit auch ein touristisch deutlich besser erschlossenes Gebiet. Die Hüttendichte ist sehr groß und auch die Dichte der Tageswanderer und Mehrtageswanderer nimmt deutlich zu. Zum einen, da Wochende ist, und zum anderen, weil dieses Gebiet der Seealpen deutlich bekannter ist. Überfüllt ist es trotzdem nicht. Besonders beeindruckend sind hier und die nächsten Tage die raffinierten Wagführungen und die toll angelegten Wanderwege. Selbst steile Abschnitte wurden kunstvoll entschärft und fast mühelos bewältigt. Die meisten Wege sind alte Militärwege. Auch einige Ruinen von Kasernen zeigen von einer harten Zeit in den Bergen während des Krieges.
Das Rifugio Valasco ist schon von weitem zu erkennen. Es handelt sich um ein altes Jagdschloss von König Vittorio Emanuele II. So ein Gebäude habe ich noch nie gesehen und schon gar nicht mitten in den Alpen. Ein buntes mit zwei Türmchen versehenes, etwas kitschiges Gebäude. Allerdings mit tollen Lagern und wunderbarem Essen!
Wie schon im Gran Paradiso Nationalpark sorgte König Vittorio Emanuele II. dafür, dass sich aus dem königlichen Jagdrevier ein Naturschutzgebiet entwickelte. Da er alleiniges Jagdrecht in diesem Gebieten beanspruchte, sorgte er dafür, dass bestimmte Tierarten,wie der Steinbock, nicht ausstarben. Diesen können wir neben einigen Gämsen und Adlern auch beobachten.
Auch die nächsten Etappen durch den Naturpark sind wunderschön. Auf jedem Pass überzeugt die schöne Sicht und ab und zu zeigt sich auch der Monviso in der Ferne. Doch dann heißt es erst einmal Abschied nehmen von der Bergwelt und hinunter in das nächste Dorf mit Laden und dem letzten Bankomat vor dem Meer: Entracque. Groß ist Entracque mit 770 Einwohnern zwar nicht, doch mir aus der Ferne schon deutlich zu groß. Doch das von außen städtisch und groß wirkende Dorf, stellt sich dann doch als eine nette Ortschaft heraus. Auch hier ist die italienische Gelassenheit, die ich so schätze, vorhanden. Keiner stört sich daran, dass der Bankomat mitten am Tag ein Systemupdate macht und erst 20 Minuten später wieder zur Verfügung steht. Warum auch! Kommt man halt später nochmal vorbei!
Heute betreten wir nun doch ein Skigebiet: Limonetto am Tendapass. Das lässt sich nicht vermeiden.
Morgen geht es noch einen letzten Tag nach Westen, bevor ich dann endgültig nach Süden abbiege und in vorrausichtlich sieben Etappen endlich das Meer erreiche.