Almwanderungen und Waalwege

Kaum sind meine beiden Freundinnen von zu Hause in Bozen angekommen, zieht der Himmel zu! Immerhin, auf unserer ersten Etappe über die Weiden der Sarntaler Alpen, kann man die Dolomiten noch erahnen. Am nächsten Tag sieht das schon ganz anders aus! Nebel und kalter Wind empfängt uns. Das bin ich gar nicht mehr gewohnt! Rasend schnell bewegen sich die dunklen

Wolkenfetzen über uns hinweg! Passen wir den richtigen Augenblick ab, zeigt sich kurz ein weiterer Blick als 100m! Immer entlang des Fernwanderwegs E5 geht unsere Route bis zu Meraner Hütte. Weite Fernblicke, die über der Baumgrenze auf einem Höhenrücken zu erwarten sind, gibt es zwar nicht, dafür können wir hunderte von Steinmännchen bewundern, die sich auf dem Berg 'Stoanerne Mandeln' befinden. Eines neben dem anderen! 


Und dann folgt er, mein zweiter Regentag. Kein Dauerregen, sondern eher ein Dauernebel mit Regenschauern. Die gewünschte Wanderung über den Hirzer fällt leider im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. Unterhalb wandern wir durch den Wald außenrum. Keine 30 Minuten, nachdem ich meine beiden Freundinnen in die Seilbahn zurück gesetzt habe, reißt der Himmel auf und der Hirzer schaut herunter. Super Timing!


Ich finde es angenehm, dass es nun endlich nicht mehr so heiß ist. Es hat ganz schön abgekühlt! So sehr, dass es in zwei Nächten ab etwa 2400m Neuschnee gegeben hat und die E5 Wanderer bei mir in der Hütte ebenfalls an der Besteigung des Hirzers hindert. Zur Zeit ist es tagsüber mit 25 Grad auch im Tal sehr angenehm. Endlich das perfekte Wanderwetter!


Weiter geht es nun ins Vinschgau. Zuerst folgt von der Hirzer Hütte ein langer Abstieg ins Tal, um auf der anderen Seite wieder auf den Meraner Höhenweg aufzusteigen. Plötzlich ist wieder was los! Etliche Tagestouristen und einige Wanderer, die den Meraner Höhenweg gehen! Als ich erfahre, dass einige Unterkünfte schon Monate vorher ausgebucht waren, werde ich etwas unruhig. Doch ich habe Glück! Auf der Leiteralm bekomme ich ein gemütliches Zimmer. Wegen dem schlechten Wetter haben ein paar angesagt. Dazu muss man sagen! Das schlechte Wetter hat mal wieder nur den Meraner Höhenweg getroffen und nicht mich! Der Aufstieg ging bis auf wenige Tropfen komplett regenfrei. Hab ich mal wieder Dusel gehabt! 


Auch die nächste Unterkunft ist wegen einer großen Schulklasse komplett ausgebucht. Doch wieder habe ich Glück! Ich bekomme ein gemütliches Sofa in der Näh- und Bügelstube des Gasthofs. Überall liegt Wäsche herum und in der Mitte des Raumes steht eine große Bügelmaschine. Das ist viel besser als in einem Lager mit 7 oder 8 anderen zu liegen, die schnarchen oder einen anderen Insbettgeh- oder Aufstehrythmus haben. 


Die eineinhalb Tage auf Meraner Höhenweg zeigen mir, dass es sich definitiv einmal lohnt, ihn ganz zu gehen. Immer auf der Höhe geht er in leichtem auf und ab etwa 1000m über dem Tal immer am Hang entlang. Die felsigen, zum Teil sogar in den Fels gesprengten Wege, sind schön zu gehen. Und bei klarer Sicht, wie ich sie morgens gerade habe, reicht der Blick zurück bis zur Sella, Marmolata und dem Rosengarten. Auf der anderen Seite überragt der Ortler die anderen Gipfel. 

Ein Höhepunkt ist bestimmt die 1000 Stufen Schlucht. Über etwa 1000 Stufen geht ist in eine Schlucht hinunter und auf der anderen Seite wieder hinauf. Beim Betreten der Schlucht glaubt man kaum, dass es einen normalen Wanderweg durch die steilen Wände wieder aus der Schlucht hinaus geben kann. Noch eine ganz andere Bedeutung bekommt für mich die Schlucht der 1000 Stufen. Denn an diesem Tag gehe ich nicht nur 1000 Stufen, sondern auch meinen tausendsten Kilometer! Ich habe jetzt ungefähr die Hälfte geschafft. Aber ein besonderes Gefühl stellt sich nicht ein. Ich bin nicht aufgeregt und es fühlt sich nicht besonders an, sondern so, wie jeder andere Kilometer auch. Keine Emotionen beim tausendsten Kilometer! Schön ein paar Mal habe ich mir überlegt, wie es sein wird, in den vierstelligen Kilometerbereich zu kommen. Doch nichts! Nichts besonderes! Es ist egal, wie viel ich schon gegangen bin und wie viel noch kommen wird. Hauptsache ich bin unterwegs! Es zählt mittlerweile sowieso nur der Tag selbst und nicht, was gestern war oder morgen sein wird.


Auf dem Weg hoch zum Meraner Höhenweg und weiter hinein ins Vinschgau benutze ich die Waalwege. Hunderte von Kilometern ziehen sie sich rund um das Meraner Land. Auf einem dieser Waalwege bekomme ich ein Gespräch von einem etwa vierjährigen Jungen und seiner Mutter mit.

Die Mutter: 'Die Waale sind ausgetrocknet!'

Der Junge: 'Ich sehe keine Wale!'

Die Mutter: 'Rechts neben dir!'

Der Junge: 'Da sind keine Wale!'

Die Mutter: 'Doch schau mal, die sind ganz ausgetrocknet!'

Der Junge: 'Mama, da ist doch gar kein Wasser drinnen. Da kann kein Fisch leben! Und ein toter ist auch nicht drin!'

Als die Mutter keine Anstalten macht, ihren Sohn zu erklären, was Waale sind, mache ich es: Waale sind künstlich angelegte Bewässerungskanäle, die im 13. Jahrhundert angelegt wurden. Zur Instandhaltung und Pflege eines Waals wurden schmale Pfade errichtet. Viele dieser Wege gibt es noch und dienen heute als Wanderwege.


Ich wurde schon öfters gefragt, was so eine lange Wanderung mit dem Körper macht. Wie er sich verändert. So eine Veränderung geschieht, aber es geht langsam. Ich selber merke es kaum. Aber als meine beiden Freundinnen von zu Hause kommen und meinen, du bist aber drahtig geworden, fällt mir erst richtig auf, dass ich schon deutlich dünner geworden bin. Vor allem in den letzten drei Wochen! Die anfangs eng anliegende Hose, die ich in Villach gekauft habe, schlabbert nun hinunter und ist nicht mehr eng. Die Wanderhose von zu Hause hält nur noch mit einem Schnürsenkel als Gürtel. Das ist noch nicht schlimm. Aber mehr Gewicht sollte ich nicht verlieren. Also: mehr Essen! 

Seit ich die letzten drei Tage wieder alleine unterwegs bin, merke ich, dass die Touren immer länger werden müssen, damit ich nicht zu früh ankomme und ausgelastet bin. Angeschriebene 10 Stunden Touren sind jetzt das angemessene Tagespensum. Habe ich darüber vor vier Wochen noch geflucht und bin total erschöpft angekommen, suche ich jetzt kleine Extras, mit denen ich die Tour noch aufpäppen kann. So fit wie jetzt, war ich noch nie!