Dieser Abschnitt führt mich hauptsächlich durch weite und enge Täler in Richtung Süden. In Liezen stehe ich vor einem großen Puzzle. Vor mir ausgebreitet die beiden frisch erworbenen Karten. Sie füllen schon den gesammten Boden und das Bett von meinem kleinen Zimmer. Daneben liegt der Reiseführer für den Salzsteigweg, in der leisen und zu diesem Zeitpunkt eher verzweifelten Hoffnung, ihn nicht umsonst mitgetragen zu haben. Fast jede Etappe führt über 2200m. Wie in alles in der Welt bin ich auf die Idee gekommen, dass dieser mir etwas nützen könnte. Mein Blick fällt aus dem Fenster. Schön ist die Bergwelt dort oben und vor allem schön weiß ab 1800m. Ich lege den Wanderführer beiseite. Dieser kann mir bei der Überschreitung der Niederen Tauern auch nicht weiter helfen. Niedere Tauern, das klingt so harmlos und gemütlich. Doch sie sind halt nur nicht so hoch wie die Hohen Tauern mit dem Großglockner und den Großvenediger, den höchsten Bergen Österreichs. Ansonsten gehören die verschiedenen Bergmassieve trotzdem zu den Zentralalpen und überragen die Gebirgsgruppen, die ich bis jetzt überschritten habe.
Mein Blick schweift immer wieder über die ausgebreiteten Karten. Ein einziger Übergang überschreitet die 2000er Grenze nicht. Der Sölkpass. Doch so recht passt er mir nicht, bedeutet das doch, dass ich mich erst einmal vier Tage lang mit Tälerwanderungen und jede Menge Teer und Schotterwege begnügen muss. Ich habe langsam die Schnauze voll davon. Ich will weiter gemütliche Steige und Waldwege und vor allem Gipfelblicke genießen. Am liebsten eine Wanderung wie im Gesäuse fortsetzen. Doch mir wird klar, es gibt keine gute Alternative zum Sölkpass. Hilft ja nix. Ich greife erneut zu der Karte und schaue genauer hin. Mit ein paar zusätzlichen Höhenmeter lässt sich zumindest der Radweg im Ennstal einigermaßen umgehen. Ich atme auf und finde diesen Weg immer spannender. Nördluch vom Tal gibt es immer wieder kleine Waldsteige, die sich auf der Südseite des Toten Gebirges entlangschlängeln. Wie sehr mich diese und vor allem die 'blöde' Wanderkarten noch in die Weisglut bringen würden, ahne ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Frisch und gut ausgeruht verlasse ich Liezen. Wirklich schöne Pfade bringen mich im leichten auf und ab, das sich am Ende allerdings dich gut summiert, nach Pürgg. Dieses Dorf liegt wunderschön gelegen 200m über dem Ennstal direkt am Fuß des gewaltigen Grimming. Dieser alleinstehende Gebirgsstock von 2351 Metern überragt das Tal und gehört schon zum Dachsteingebirge. Am Tag zuvor habe ich schon ein Zimmer bei einer netten älteren Dame reserviert. Seit sie alleine im Haus wohnt, vermietet sie drei Zimmer an Gäste. Ich bekomme das größte, eigendlich für drei Personen gedacht, doch das Einzelzimmer sei zu klein und habe keinen Balkon. Ich widerspreche nicht und koste den Balkon richtig aus. Lange, bis es dunkel wird, sitze ich draußen. Vor mir der mächtige Grimming. Links von mir das Ennstal und in der Ferne die schneebedeckten Gipfel der Niederen Tauern. Hier lässt es sich leben! Wenn da nur nicht der unerträgliche Hunger wäre. Die letzten zwei Tage in der Stadt habe ich mich von Döner und Brötchen ernährt. Jetzt brauche ich was richtiges. Etwas warmes, deftiges, das mich richtig satt macht. Also verlasse ich den Balkon, ziehe die Schuhe an und ziehe los. Dieser winzige Ort verfügt über drei Wirtshäuser. Na also, wenn da nicht was für mich dabei ist! Ich betrete das erste, eine grimmig dreinblickende Dame erklärt mir genervt, sie koche nur für hauseigene Gäste. Ich verlasse das Haus wieder. Gar nicht so betrübt, denn wenn die genauso kocht, wie ihre Laune, dann guten Appetit. Hätte ich das nur nicht gedacht, denn entsetzt stelle ich fest, dass die anderen beiden Gasthäuser geschlossen haben. Mist! Ich hatte mich auf mehr gefreut als auf Müsliriegel und Nüsse. Ich betrete das Haus und möchte gerade die Treppe hinauf. Da steht plötzlich die nette ältere Dame vor mir. Ob ich nichts zum Essen gefunden hätte. Ich erzähle ihr meine verzweifelte Suche. Und dann rettet sie meinen Abend. Viel könne sie mir nicht anbieten, aber Brot, Butter und Käse könne ich soviel ich möchte haben. Sie gibt mir alles mit. Und so wird bei der vorherigen Aussicht auf Müsliriegeln das Käsebrot auf dem Balkon zu einem wahrhaftigen Festessen. Eine schönere Kulisse hätte ich sowieso nirgendwo sonst haben können.
Super gut gelaunt starte ich am nächsten Morgen den Abstieg ins Tal. Wenn die Wege heute genauso werden wie gestern, wird dieser Tag ein reiner Genuss!
Auf halbem Weg versperrt mir die Bahnlinie und eine dicke Mauer das Weiterkommen. Den in der Wanderkarte eingezeichneten Pfad gibt es nicht. Ich suche alles ab, keine Spur! Hilft ja nix, also wieder den Berg rauf und auf der Teerstraße einmal außenrum. Macht ja nichts, das kann schon mal passieren.
Ich steige nun in Richtung Grimminghütte auf und suche den Pfad, der mich immer auf gleicher Höhe Richtung Westen bringen soll. Doch zwei Einheimische klären mich auf. Diesen Weg gibt es nicht mehr. Ich müsse komplett bis zur Hütte aufsteigen. Sogar noch etwas höher. Ein Forstweg bringe mich in weiten Serpentinen zurück ins Ennstal. Wenigstens den Weg bis zur Hütte habe ich nette Begleitung. Unten im Tal habe ich mir schon mindestens 4km Umweg und etliche Höhenmeter mehr eingebrockt. Eigentlich auf einer sehr kurzen Strecke. Ich beschließe, erst einmal die ganzen Abkürzungen auf der Wanderkarte zu ignorieren. Sie hat mich heute ganz schön enttäuscht. Damit das nicht noch mal passiert, biege ich auf den geteerten Ennstalradweg ab. Doch endlos lange und vollem langweiligen Kilometer erwarten mich. Gut gelaunt brausen die Radfahrer an mir vorbei. Ich grüße zurück. Doch nicht näherungsweise so gut gelaunt. Mein Lächeln ist gezwungen. Meine Füße brennen und die Sonne auch! Ich will nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Meine Füße brauchen Abwechslung und mein Körper Schatten. In einem kleinen Ort bleibe ich stehen. Mein GPS sagt mir noch 6km. Ich atme auf. Aber auf Forstwegen und einem Stückchen Pfad. Doch außenrum mindestens noch mal 10km Teer mag ich nicht. Durch den Wald geht es aufwärts. Immer weiter und weiter. Doch halt, der Pfad hätte doch schon längst abzweigen müssen! Ich drehe um. Agriebisch suche ich alles ab. Doch nicht der kleinste Ansatz einer Trampelspur. Sauer und wütend drehe ich um. Wirklich blöde Karte. Eine Stunde später stehe ich wieder in dem kleinen Ort. Dieses mal allerdings deutlich weniger euphorisch. Der nun folgende Teerhatscher führt dazu, dass ich total erschöpft Großsölk erreiche. Doch so groß ist Großsölk nicht mit seinen vielleicht 15 Häusern.
Nach einem kleinen Nickerchen gehe ich hinunter in den Gastraum. Ich bin alleine. Die Wirtin erklärt mir zu meinem Entsetzen- und sie muss es in meinem Gesicht erkannt haben- dass sie nur noch eine Frühstückspension seinen. Doch bevor ich irgendetwas sagen kann, meint sie, sie könne mir eine Kleinigkeit zu essen machen. Eine halbe Stunde späterer sitze ich vor einem gemischten Salat und einer großen Portion Nudeln in Käsesauce mit Gemüse. Was will ein Wanderherz mehr!
Der weitere Weg führt mich durch das wunderschöne Sölktal. Zwar immer entlang der Straße, doch das stört mich bei diesem Panorama nicht mehr. Verkehr ist sowieso keiner. Vereinzelt ein paar Autos oder Motorräder, sonst bin ich alleine. Am nächsten Tag erwartet mich der Pass mit heftigem Sturm. Über Nacht hat es geschneit, doch als ich aufbreche ist der meiste Neuschnee schon weg. Wind und Nebel nehmen mich auf dem Pfad zur Passhöhe gefangen. Eine mystische Stimmung. Doch irgendwie genieße ich es, komplett durchgeblasen zu werden. Die Aussicht ins Sölktal bleibt mir allerdings verwehrt.
Was ist das, ich kann es kaum glauben! Ich blinzle. Kaum auf dem Pass angekommen, erwartet mich strahlender Sonnenschein auf der anderen Seite. Was für eine Pracht. Ich bleibe stehen und genieße einfach. Dieses Panorama! Allerdings lange bleibe ich nicht alleine. Horden von Motorräder jagen den Pass hinauf. Schließlich ist Christi Himmelfahrt. Der Weg hinunter nach St. Peter am Kammersberg erweist sich dann als gemütliche Wanderung, immer begleitet von dröhnenden Motorengeräuschen. Naja, man muss schöne Blicke auch teilen können. Auch wenn ich das lieber mit ruhigeren Weggefährten getan hätte!
Um den wunderbaren Aussichten noch eins draufzusetzen, besteige ich heute die Stolzalpe. Ein unbekannter mit 1800m niedriger Berg zwischen den Wölzer Tauern und den Gurktaler Alpen. Doch mit was für einer Aussicht. Die Sicht reicht bis in die Radstädter Tauern und in der Ferne kann man die ersten 3000er der Zentralalpen erahnen. Einfach Wahnsinn! Langsam steige ich ab. Immerwieder stze ich mich und genieße den Ausblick. Ich habe Zeit. Bin ja bald da. Bestimmt zwei Stunden verbringe ich damit, einfach nur dazusitzen und zu genießen.
Schnell bin ich in Murau angekommen. Meine Wanderzeit alleine soll nun erst einmal zu Ende sein. Morgen kommt meine erste Begleitung. Ich freue mich darauf, diese Landschaft und diese Ausblicke mit jemandem teilen zu können!