Die letzten Tage wurde ich von fast allen gefragt, ob ich nach Mariazell pilgern würde. Doch ich verneine. Nein, man kann auch so hier Wandern gehen, ohne nach Mariazell zu pilgern! Mariazell liegt nicht auf meinem Weg! Doch nun, nach 6 Tagen, stehe ich hier vor der Kathedrale in Mariazell. Die letzten zwei Tage auf dem Pilgerweg unterwegs.
Doch von vorne! An meinem vierten Wandertag bin ich froh, als ich das Hotel in Miesenbach verlassen kann. Ich habe schlecht geschlafen. Die Heizung neben dem Bett ist voll aufgedreht. Ich kann sie nicht runter drehen. Das Fenster kann ich nicht aufmachen, denn das Hotel liegt an der Hauptstraße.
Früh um halb acht steige ich bei tollem Wetter auf. Ich habe eine tolle Sicht über das Tal. Die wenigen Ortschaften sind klein und bestehen aus ein paar einzelnen verteilten Häusern und Höfen. Ich begegne einer uralten Bäuerin mit einem Weidenkorb auf dem Rücken beim Reisig sammeln. Ich fühle mich in der Zeit zurückversetzt.
Über die dürre Wand wandere ich am Kamm entlang und habe immer wieder einen grandiosen Ausblick. Auch auf dem Schneeberg. Dieser Anblick stimmt mich nachdenklich. Es liegt doch noch einiges an Schnee dort oben.
An der Edelweißhütte begegne ich drei Tageswanderern, die mich zusammen mit den sehr netten Hüttenwirten super beraten. Die Besteigung des Schneebergs ist zu gefährlich. Auch alle nachfolgenden 2000er sind noch zu hoch. Also muss ein Plan B her. Diesen finde ich auf dem Pilgerweg nach Mariazell. Ich werde nun also doch zum Pilger.
Übernacht bin ich der einzige Gast und habe das Lager für mich alleine. Abends werde ich von den Hüttenwirten verwöhnt und genieße das Feuer im Ofen in der warmen Stube. Sehr gemütlich!
Jeder, der denkt, der Pilgerweg sei gemütlich, der irrt sich gewaltig! Die fünfte Etappe fordert einiges von mir: 34km, fast 1000hm im Aufstieg und noch mehr im Abstieg! Dazu ist es wieder schön warm und zunehmend immer schwüler. Die Sonne knallt von oben. Ich komme gut voran. Es geht durch das wunderschöne Preintal. Der Weg steigt gemächlich an. Kurz vor dem höchsten Punkt biege ich auf einen Pfad in den Wald ein. Der ganze Pfad ist übersäht von Holzschildern und Kreuzen. Alles von Pilgern, die hier schon unterwegs waren. Ein eindrucksvoller Moment, der mich sehr berührt! So viele haben sich hier schon auf den Weg nach Mariazell und auf die Suche nach Gott gemacht. Auch ich betrachte die vielen Kapellen am Weg und fühle mich wohl. Vielleicht bin auch ich auf der Suche nach Gott.
Oben, an der höchsten Stelle angekommen, bin ich total verschwitzt. Ich wälze mich in einem kleinen Schneefeld. Es ist so schwül und mir ist total heiß. Ich lange nach meinem Trinkschlauch. Ein Zug und- oh Schreck- meine Trinkblase ist leer! Ich habe nur noch meinen Notfall halben Liter. Ich trinke, es geht nicht anders. Ich habe nur noch 200 bis 300ml für 14 km. Und die Sonne brennt. Ich merke, wie ich immer durstiger werde. Ich muss mein Wasser gut einteilen. Ich biege ab Richtung Frein an der Mürz, wo ich übernachten möchte. Nach einer Stunde nach dem Abzweig ein Schild: Weg gesperrt, betreten verboten! Forstarbeiten! Was nun? Umdrehen geht nicht. Ich bin seit dem Abzweigt mindestens 300hm abgestiegen. Ich kann kräftemäßig nicht umdrehen. Das schaffe ich nicht! Ich ignoriere das Schild und gehe weiter. Die Forstarbeiter ignorieren mich zum Glück und sagen nichts. Vielleicht sehen sie, wie kaputt ich bin.
Endlich am Gasthof angekommen, bekomme ich sofort ein Zimmer. Erst einmal schütte ich einen Liter Wasser mit Mineraltabletten in mich hinein. Mit trinken hat das nichts mehr zu tun. Mein hochroter Kopf nimmt wieder normale Farbe an und mir geht es besser. Das war schon eine Grenzerfahrung!
Die gestrige Etappe hat auch auf den heutigen Tag Auswirkungen. Jeder Höhenmeter macht mir zu schaffen. Wieder ist es schwül! Die 20km nach Mariazell reichen mir völlig. Wasser habe ich genug.
Mit jedem Kilometer wächst die Vorfreude auf Mariazell. Ich kann es kaum erklären, aber sie treibt mich an. Als ich die Kathedrale erreiche, bin ich überwältigt. Ein unvorstellbares Glücksgefühl überkommt mich. Ich habe es bis hierher geschafft. Ganz alleine! Es ist, als ob ich mein erstes Zwischenziel erreicht habe. Ein guter Zeitpunkt, um einen Tag Pause zu machen! Mein Körper braucht dies! Außerdem soll es morgen regnen.